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Blutiger Regen: Leonie Hausmann ermittelt im Schwäbischen (German Edition)

Blutiger Regen: Leonie Hausmann ermittelt im Schwäbischen (German Edition)

Titel: Blutiger Regen: Leonie Hausmann ermittelt im Schwäbischen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Kern
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Wir müssen schließlich von was leben.«
    Sie hatten den Sonntag im Park vertrödelt, in der Sonne gelegen und die Familien erschreckt, die mit ihren Kinderwagen in Richtung Cannstatt gezogen waren. Wo die Punks auftauchten, fiel jedes Picknick flach, und türkische Großfamilien flohen in Scharen zu ihren Autos. Alessio hatte nicht gewusst, dass man so glücklich sein konnte. Noch nie zuvor hatte er sich als Teil einer Gruppe gefühlt, vollkommen akzeptiert, ohne dass ihm jemand Fragen stellte. Und dann war da Blue, an die er sich halten konnte, fast als sei er ihr Freund. Aber heute war es vorbei mit dem lockeren Leben. Geld musste her, von dem sie sich Essen kaufen konnten. Niemand ahnte, dass Alessio jede Menge Cash besaß, seine Investition in die Freiheit, die sich im Geldbeutel in seiner rückwärtigen Jeanstasche befand.
    »Vielleicht gehe ich in den Schlupfwinkel«, sagte Blue, stand auf und streckte sich. »Kommst du mit? Ich würde mich gerne mal wieder als Mensch fühlen.«
    In der Anlaufstelle der Evangelischen Gesellschaft konnte man hin und wieder das tun, was normale Kids auch taten: duschen, essen, Wäsche waschen und chillen. Fast so wie zu Hause. Manche der Straßenkinder waren auf Drogen, aber auch die schickten die Sozialarbeiter nicht weg. Und vor allem stellten sie keine Fragen. Auch Alessio fühlte sich reif für eine Dusche, denn er stank noch immer penetrant nach dem Bier, das Henne ihm am Samstagabend über den Kopf gegossen hatte.
    »Ich habe eine bessere Idee.« Er stand auf und zog sich sein schmutziges Sweatshirt über den Kopf.
    »Und was?«
    »Komm! Und nimm deine Wäsche mit.« Ohne zu zögern stapfte er über die Wiese auf den Hauptweg zu, der zum Bahnhof führte. Fahrradfahrer strebten an ihnen vorbei in Richtung Innenstadt, nur wenige Meter entfernt von der Stadtautobahn, auf der die Autos wie jeden Morgen kilometerlang im Stau standen.
    »Aber wo willst du hin?« Ronja an der Leine, holte Blue ihn ein.
    »Wart’s ab!« Zielstrebig ging er ihr voran in die brechend volle Klettpassage, in der sich die Leute drängten, die zu den Stadtbahnen und Bussen eilten. Kurz vor der Rolltreppe zur S-Bahn hielt sie ihn am Ärmel zurück.
    »Wir haben keine Fahrkarte«, zischte sie. »Wenn man uns erwischt, kostet das. Und man überprüft unseren Perso.«
    Er zuckte die Schultern und zog ein Mehrfahrtenticket am Automaten und dazu noch ein Kinderticket für den Hund.
    »Wo hast du die ganze Kohle her?«, fragte sie unsicher.
    »Hatte ich noch«, sagte er und stempelte zwei Fahrten.
    Sie stiegen in die S-Bahn nach Plochingen und stellten sich auf die Stehplätze nahe der Tür, als würden sie einen Fluchtweg brauchen. Von überallher warfen die Leute ihnen misstrauische Blicke zu. Blue fasste Ronjas Leine kurz. »Platz!«, sagte sie und schaute sich nervös um. »Wenn nur keine Bullen kommen.« Plötzlich wünschte sich Alessio, dass sie nie mehr Angst haben musste. Einen Moment später ging ihm auf, dass er es war, der die eigentliche Bedrohung darstellte. Er wurde gesucht. Und die Lebensgefahr, in der er steckte, würde sich auf Blue übertragen, solange sie mit ihm zusammen war. Das Gefühl lastete einen Moment auf ihm, wie eine dunkle Wolke, die ihn verschlingen wollte. »Obertürkheim. Ausstieg in Fahrtrichtung links«, sagte die Automatenstimme. Entschlossen drängte er die aufsteigende Panik zurück und schaute sich um. Obwohl sie gegen den Strom fuhren, war der Waggon voller Schüler, die eifrig vor sich hin simsten. Pendler, die im Neckartal arbeiteten, steckten ihre Köpfe in die Stuttgarter Zeitung oder hielten ein Nickerchen. Eine teuer gekleidete Frau, sicher auf dem Weg in die Büros des Daimler-Konzerns, zog sich vor einem winzigen Spiegel die Lippen nach.
    Sie stiegen am Mettinger Stadtteilbahnhof aus und kauften im Café Mocca Croissants, trotz der missbilligenden Blicke der Verkäuferin, die Blue in ihrem rotkarierten Mini genauso galten wie Alessio mit seinem dreckigen Shirt. Als sie auf die Straße traten, griff Blue hungrig in die Tüte, holte sich ein Croissant und biss hinein.
    »Geklaut?«, fragte sie mit vollem Mund und schaute ihn an.
    »Was?«
    »Das Geld.«
    Er zuckte die Achseln. »Und wenn schon. Komm!«
    »Wohin?«
    »Nach Hause. Da ist niemand.«
    Die Wohnsiedlung lag gleich hinter der Unterführung zwischen den Gleisen, dem Neckar und der B 10. Östlich der Häuser hörte die Bebauung langsam auf. Auf den Feldern nahe der Neckarbrücke konnte man in der

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