Blutiger Regen: Leonie Hausmann ermittelt im Schwäbischen (German Edition)
grandioser Blick über das Neckartal. Halbherzig begann er, den Steingarten zu wässern und schwenkte den Wasserstrahl schließlich auf die Rosen um. Von weitem hörte er den ICE Stuttgart–München vorbeirauschen, der die Geräusche der B 10 mühelos übertönte. Der Lärmpegel war ein Nachteil der Halbhöhenlage, den die Wohlhabenden in Kauf zu nehmen wussten.
Fabian hielt den Gartenschlauch gerade auf den Lavendel, als er hinter dem Jägerzaun eine Bewegung wahrnahm. Nebenan, im Garten des Baulöwen Peter Ölnhausen, stand jemand am Pool. Der Unternehmer hatte sein nobles Stadthaus rund zwei Jahre später als seine Eltern bauen lassen und dabei weder an Kosten noch an Ideen gespart. Fabian wusste, dass seine Mutter hin und wieder neidisch hinüberlinste und sich heimlich von den Designideen seines Gartenbauarchitekten inspirieren ließ. Ein Stück unterhalb der holzgedeckten, von Bambussträuchern umrahmten Terrasse befand sich ein Pool, an dessen Rand eine ziemlich gutaussehende Frau stand. Sie streifte ihren Bademantel ab, warf ihre Haare nach hinten und schlappte in Flipflops bis zur Kante. Dort ging sie in die Knie, stieß sich ab und sprang elegant wie ein Delphin ins Wasser. Ihr knapper Bikini leuchtete weiß wie ein Blitz. Seine Mutter lästerte immer darüber, wie schnell Ölnhausens Flammen wechselten. Etwas Halbseidenes hätten sie alle an sich, wie frisch aus einer Bar gekapert, meinte sie. Die Zuckerpuppe mit der blonden Mähne jedenfalls würde so schnell keiner von der Bettkante stoßen. Doch er sah vor seinen Augen nur Leonie, und ihr Name hieß Begehren.
Milena Donakova schaffte es, zwei Bahnen zu schwimmen und erst danach zu atmen. Wenn sie tauchte, träumte sie auf Russisch und war zu Hause. Sobald sie ihren Kopf über die Wasseroberfläche hob und nach Luft schnappte, hatte die Gegenwart sie wieder, der Pool, die Terrasse, das Haus, in dem sie sich als Hausherrin fühlen durfte oder aber als Inventar. Wie man es nahm. Sie legte sich im Wasser auf den Rücken und schaute in den Himmel, der so durchsichtig war, dass ihre Gedanken wie durch einen Tunnel nach Hause gleiten konnten. In St. Petersburg war ebenfalls Sommer, und Aljoscha ging mit ihrer Mutter auf den Spielplatz und in den Park. Ein kleiner Junge im gestreiften T-Shirt, der in der Schaukel saß und so hoch flog, dass seine Füße fast die Äste der Bäume berührten. Und der sie langsam aber sicher vergaß. Sie ließ zu, dass ein paar Tränen aus ihren offenen Augen ins Wasser tropften, ein bisschen Salz, das weniger Spuren hinterließ als die Kondensstreifen am Himmel. Reiß dich zusammen! , dachte sie. Dir fehlt nichts. Noch nie hatte sie so sorglos gelebt. Doch, doch, doch , dachte ein eigensinniger Teil ihres Gehirns. Doch, mir fehlt etwas . Sie schwamm zum Rand und zog sich hoch. Als sie sich abtrocknete, ließ eine Windböe sie frösteln, und sie hüllte sich in ihren Luxusbademantel. Ein Luxusweibchen mit einem Brillanten am Finger, wie gemacht für das teure Designerhaus. Sogar die Flipflops waren mit Strass besetzt.
Milena hatte Russland verlassen, um in Deutschland als Hausmädchen zu arbeiten. Doch dann hatten diese Männer sie auf den Geschmack gebracht. Es waren Russen gewesen und Italiener, kurzgeschorene Köpfe und Westernstiefel an den Füßen, die sie auf den Tisch gelegt hatten, als würde sie ihnen gehören. Milenka, hatten sie gesagt, so wie du aussiehst … Es gibt leichtere Arten sein Geld zu verdienen als hinter den Deutschen herzuwischen. Sie hatte immer gewusst, dass sie schön war, groß, mit exotisch geschnittenen Augen, aber erst diese Geschäftsmänner hatten sie auf die Idee gebracht, Kapital aus ihrem Körper zu schlagen. Und auch da hatte sie noch geglaubt, es handle sich um einen Modeljob. Ha! Tief in ihrem Innern hatte sie gewusst, dass es keiner war, dass sie die Beine breit machen würde für die Herren im Anzug, die auf Firmenkosten kamen, ihre teuren weißen Hemden durchgeschwitzt und mit der weißen Spur am Ringfinger, die entstand, wenn man den Ehering kurzfristig ablegte. Die Zeit im Bordell war hart gewesen, aber verdient hatte sie tatsächlich nicht schlecht. Es war kein Straßenstrich, und der Deutsche, der ihn im Auftrag der Organisation führte, hatte auf die Mädchen aufgepasst. Sie hatte alles, was übrig blieb, zusammengekratzt und in die Heimat geschickt, wo es ihrem Jungen an nichts fehlen sollte. Kleidung, Spielzeug, die besten Schulen, die Viertelgeige, die halbe Geige.
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