Blutiger Regen: Leonie Hausmann ermittelt im Schwäbischen (German Edition)
stimmte Geertjens ihm zu. »Vielleicht hat das Opfer aber auch abrupt den Kopf gedreht. Auf jeden Fall ist der Schuss eher seitlich durchgegangen und hat die Knochenplatten des Schädels und das Gehirn stark beschädigt. Ein Projektil haben Sie immer noch nicht?«
»Weder Hülse noch Kugel«, sagte Keller.
»Das ist dumm.« Geertjens zog sich den Mundschutz über den Kopf und streifte die Gummihandschuhe ab.
»Sie haben sicher gehört, dass der Mord auf unserem Nachbargrundstück stattgefunden hat«, sagte Fabian. »Ich war zuerst am Tatort. Es wurde aus zwei verschiedenen Waffen je einmal gefeuert. Der erste Schuss wahrscheinlich mit Schalldämpfer, der zweite ohne.«
Geertjens pfiff durch die Zähne. »Wenn ihre Verdächtige Glück hat, ist sie aus dem Schneider, denn getroffen hat nur eine Kugel. Vielleicht hat sie ja auf den mutmaßlichen Täter geschossen, als der davonlaufen wollte.«
»Und dabei die Büsche getroffen«, fügte Keller hinzu. »Die Leute vom KTU graben gerade den Garten um.«
Der Gerichtsmediziner ging zum Waschbecken und stellte das Wasser an. »Dazu kann ich nichts sagen. Aber ein Schalldämpfer deutet darauf hin, dass der Täter ein Profi ist. Und dazu passt nicht, dass er seinen Schuss versemmelt hat.« Er seifte seine Hände ein, spülte und trocknete sie sorgfältig und desinfizierte sie dann mit dem Mittel aus der grünen Flasche neben dem Waschbecken.
Fabian und Keller verabschiedeten sich und wandten sich ihrem zweiten Anliegen zu. Praktischerweise lag Nicolai Reskin auch im Robert-Bosch-Krankenhaus.
»Frischluft«, sagte Keller, als sie in der lichtdurchfluteten, modernen Eingangshalle standen, und atmete durch.
»Nicht gerade ein Sympathieträger, dieser Geertjens«, brummte Fabian. Er fror noch immer und zog seine Jacke über.
Keller sah ihn abschätzend an. »Es gibt Leute, die lieben ihren Beruf über alles. Schätzungsweise gehört unser Nordlicht dazu. Was ihn seinen lebendigen Zeitgenossen gegenüber nicht gerade aufgeschlossener macht.«
»Wenn ich diese Leichenaufschneider so sehe, bin ich froh, nicht Medizin studiert zu haben«, sagte Fabian düster.
»Ein Quacksalber weniger.« Keller lachte und schlug ihm auf den Rücken. »Wir können dich gut bei der Polizei gebrauchen.«
Sie erkundigten sich an der Information nach Nicolai Reskin und erfuhren, dass er vor einer Stunde von der Intensivstation auf die Chirurgie verlegt worden war. Auf dem Gang liefen sie einem bärtigen Oberarzt über den Weg, der ihnen für ihren Besuch höchstens eine Viertelstunde zugestehen wollte.
»Kein Verhör!«, sagte er und hob abwehrend die Hände. »Der Junge ist ein zäher Kerl. Wir sind froh, dass wir ihn überhaupt zurückhaben. Aber trotzdem.«
»Ich bitte Sie«, meinte Keller und hob die Hände. »Wir sind zu einem Gespräch gekommen und nicht als Folterknechte.«
Der Arzt schaute sie zweifelnd an, öffnete aber trotzdem die Tür.
In seinem weißen Bett sah Nicolai Reskin verloren und schmal aus. Sein Kopf steckte in einem dicken Verband, der die blonden Haare fast ganz verdeckte. Hinter ihm piepste der Anzeiger der Vitalfunktionen, mit dem er über eine Klammer am Finger verbunden war. Das Geräusch war rhythmisch und einschläfernd. »Polizei«, sagte der Oberarzt und schloss hinter sich die Tür.
»Wie geht es dir?«, fragte Fabian. Er hatte gesehen, wie erbarmungslos die Jungen aufeinander eingeprügelt hatten. Nicolai hatte Alessio in nichts nachgestanden. Der Junge wusste nicht, dass Fabian ihm vermutlich das Leben gerettet hatte, und würde das, wenn es nach ihm ging, auch nicht erfahren.
»Gut«, sagte er und fixierte ihn aus verquollenen Augen. Das Gespräch, oder was auch immer das hier werden mochte, durfte nicht lange dauern. Dafür reichte seine Kraft noch nicht aus.
»Wir wissen, dass du dich mit Alessio Cortese getroffen hast.« Keller holte einen Stuhl aus der Zimmerecke und setzte sich ans Fußende. Im Bett am Fenster lag ein Junge mit einem gebrochenen Bein und einem Kopfverband, der fasziniert zuhörte. Motorradunfall, tippte Fabian. Einen Moment lang zögerte Nicolai. Dann gab er sich geschlagen. »Ja!«, sagte er leise.
»Die Begegnung war also kein Zufall?«
Er schüttelte den Kopf. »Wir hatten telefoniert.«
»Wusstest du, dass wir Alessio suchen?«
Wieder ein Nicken. »Sie wollen wissen, warum ich Alessio nicht verpfiffen habe?«
Keller nickte und ließ einen besorgten Blick auf die Anzeige wandern, die einen Herzschlag von hundertzwanzig
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