Blutiger Regen: Leonie Hausmann ermittelt im Schwäbischen (German Edition)
Jüngere nickte. Er hatte begriffen, dass Milena in ihrem eigenen Film feststeckte. »Haben Sie den Schützen beobachtet?«, fragte er.
Sie nickte. »Ich lief auf Terrasse. Mann rannte schnell davon. Aber dann sah ich Pjotr in Pool mit Blut.« Als die Realität sie eingeholt hatte, hatte sie die Waffe gehoben, gezielt und geschossen. Er war davongerannt, schnell, jung, sportlich, war wie ein Hase über die Büsche gesprungen. Sie hatte nicht getroffen. Am Pool wollte sie dann zu Ende führen, was der Fremde begonnen hatte. Dann war der junge Polizist gekommen. Milena wusste nicht, ob sie sich darüber freuen sollte.
»Wie hat er ausgesehen?«, fragte der Ältere.
»War junger Mann. Schnelle Schuhe. Konnte rennen. War fast fort, als ich geschossen habe. Sonst ich kann nichts sagen.«
»Nun, Frau Donakova.« Der mit dem Bürstenhaarschnitt schaute sie nachdenklich an. »Sie haben tatsächlich mit der Walther GSP Expert von Peter Ölnhausen geschossen. Eine kleinkalibrige Sportpistole.« Milena verstand kein Wort.
»Ich habe Pjotr nicht erschossen.« Ihre Augen trafen auf seine blauen. »Müssen im Garten an Seite von Haus nach Kugel suchen.«
Sie hatte alles gesagt, was es zu sagen gab. Milena wollte sich schon erheben, aber ganz so schnell ließen sie sie nicht gehen. »Wie lange sind sie schon in Deutschland?«, fragte der Bürstenhaarige.
»Drei Jahre«, antwortete sie.
»Und als was haben sie zuerst gearbeitet?«
Mit dieser Frage hatte sie gerechnet. »Ich habe Abschluss in Ökonomie«, sagte sie stolz. »Aber ging nicht in Deutschland. Habe erst als Hausmädchen, dann als Table Dancer gearbeitet.«
»Table Dancer.« Der Jüngere schaute sie ernst an. »Und wo haben Sie Peter Ölnhausen kennengelernt?«
»In Club«, sagte sie. Wie erleichtert sie gewesen war, sich nicht mehr wie eine Schlange an der Stange winden zu müssen, würde sie ihnen nicht auf die Nase binden. Und wie gut es ihr getan hatte, sich die Nächte nicht immer mit anderen Männern um die Ohren zu schlagen. Fast hatte sie geglaubt, dass Ölnhausen ihr Prinz war, der sie in sein Schloss entführte, ein Prinz mit Bauch, Glatze und dicker Rolex am Arm. Wie sehr sie sich geirrt hatte.
»Waren Sie glücklich?«, fragte der Jüngere.
Die Frage brachte sie vollends aus dem Konzept. »Ich …« Mühsam schluckte sie an ihren Tränen. Sie durfte hier nicht weinen. Sie hatte ihren Namen vergessen in Ölnhausens Villa, hatte sich Stück für Stück selbst verloren, hatte vergessen, dass es Aljoscha gab. Und sie hatte es erst gemerkt, als es zu spät gewesen war und die Milena, die sie gekannt hatte, wie in der Auslage des Metzgers säuberlich zerteilt vor ihr lag. Der Bürstenhaarige kramte umständlich nach einem Papiertaschentuch und reichte es ihr.
»Man hat Viagra-Tabletten gefunden. Und dann diese Handschellen. Wollten Sie das so?«
Was erdreistete sich der junge Mann, dem diese Frage so peinlich war, dass er langsam rot anlief? Milena zerknüllte das weiße Tuch in ihren Händen.
»Hat mich nicht gefragt«, sagte sie dann leise. Sie ließen die Antwort so stehen und drängten sie nicht weiter.
»Frau Donakova.« Der Ältere wechselte das Thema. »Was wissen Sie über die Geschäfte von Peter Ölnhausen?«
Sie zuckte die Schultern. Zum Glück stocherten sie nicht länger mit einem Messer in ihrem Herzen herum. »Hat nicht mit mir darüber gesprochen. Irgendetwas mit Bauen von Häuser. Hatte Laden verkauft.« Sie würde ihnen nicht erzählen, dass Pjotr die Betreiber des Clubs gekannt hatte. Hin und wieder hatten sie bei ihm gefeiert und sich dabei reichlich Wodka hinter die Binde gekippt. Einmal hatten junge Tänzer von einer Ballettschule in Stuttgart Ausschnitte aus den klassischen Balletten aufgeführt, die sie aus ihrer Heimat kannte. Das war der einzige Abend gewesen, an dem sich Milena ansatzweise zu Hause gefühlt hatte. Da hatte sie auch erkannt, dass sich Pjotr von den Russen und den Italienern bedroht fühlte. Nicht ohne Grund, denn diese Männer waren gefährlich. Plötzlich loderte ihr fast erloschener Lebenswille auf. Wenn sie hier heil wieder herauskommen wollte, sollte sie besser einige wichtige Kleinigkeiten verschweigen.
»Herr Keller?« Eine braunhaarige junge Frau steckte den Kopf zur Tür herein. »Ich habe hier etwas für Sie.« Sie schwenkte ein Blatt Papier, das Keller ihr stirnrunzelnd aus der Hand nahm. Er setzte seine Brille auf, um die Angaben zu lesen, und fixierte Milena dann aus seinen eisblauen Augen.
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