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Blutiger Regen: Leonie Hausmann ermittelt im Schwäbischen (German Edition)

Blutiger Regen: Leonie Hausmann ermittelt im Schwäbischen (German Edition)

Titel: Blutiger Regen: Leonie Hausmann ermittelt im Schwäbischen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Kern
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Krankenhausaufenthalten. Auch für sie galt das Gesetz des Schweigens, die Omertà, und außerdem hätte die Wahrheit eine Lawine losgetreten, deren Folgen für sie alle unkontrollierbar gewesen wären. Wenn sie in den bitteren Jahren ihrer Ehe eines begriffen hatte, dann, dass man sich mit der Familie nicht anlegte.
    Laura öffnete den Kühlschrank und holte eine Kugel Mozzarella heraus. Frau Hegele, die Gute, hatte ihre Lebensmittelvorräte aufgefüllt. Sie schnitt den weißen Käse auf, ordnete die Scheiben mit italienischen Tomaten zu einer Blüte an und zupfte Basilikumblättchen darüber. Den Teller, der wie ein kleines Kunstwerk aussah, nahm sie mit nach draußen. Über der Siedlung lag ein blauer Sommerhimmel. Die Balkone waren bunt wie Bauklötze. Weit vor ihnen ragte der bewaldete Hang auf, der einen glauben machte, dass man sich irgendwo im Schwarzwald befand. Nur der Verkehrslärm von der B 10 und der Bahnlinie drang zu ihr hinüber. Die Straße, die Gleise und der Fluss waren wie Schranken, die sie an diesem Ort gefangenhielten.
    Ihr fiel auf, dass sie etwas vergessen hatte. In der Küche fand sie die bauchige grüne Flasche, die mit dem Öl aus dem Olivenhain der Gebrüder Cortese gefüllt war. Nachdenklich träufelte sie die goldene Flüssigkeit über ihren Salatteller und spürte dabei den Bildern nach, die wie Schatten in ihr auftauchten.
    Sie war eine junge Studentin gewesen, die von Rom per Anhalter nach Neapel gefahren war. Er hatte sie an der Autobahnauffahrt aufgegabelt, im heißen August Süditaliens unter einem sengend blauen Himmel. Gleich darauf standen sie zwischen staubigen Oleanderbüschen und vermüllten Straßenrändern im Stau. Vor ihnen fuhr ein LKW mit überreifen Tomaten, die langsam von der Ladefläche rollten, um von den nachfolgenden Autos zu Brei zermalmt zu werden, und hinter ihnen eine keifende Großfamilie, die dabei war, den Geburtstag der Oma zu verpassen. Laura war es recht, dass sich ihre Fahrt verzögerte, denn der Mann mit den gebräunten Armen gefiel ihr. Es waren sehnige Arme, deren Muskeln sich durch sein weißes Hemd abzeichneten. Seine Hände, die sich um das Steuerrad legten, sahen nach Olivenhain und Weinberg aus. Hände, die imstande waren, Sicherheit zu geben. Sie brachte den schweigsamen Kalabrier zum Lachen. Als sich der Stau gegen Abend löste, hielten sie an einer Raststätte, und sie schlief mit ihm auf dem Rücksitz seines Transporters. Erst später erfuhr sie, dass er über zwanzig Jahre älter war als sie und das Jahr über in Deutschland lebte, in der Nähe von Stuttgart, wo er viel Geld in der Autoindustrie verdiente. Laura ließ Neapel ausfallen und verbrachte eine Woche auf seinem Landgut in Kalabrien. Dort lernte sie auch seinen Bruder kennen, dessen Frau bei der Geburt ihrer Zwillingssöhne gestorben war. Als sie im Herbst merkte, dass sie schwanger war, zog sie nach Deutschland.
    Lange hatte sie nicht begriffen, wie tief er in die Organisation verstrickt war. Und dann hatte sie gedacht, dass er sich ihr zuliebe aus den Armen des Kraken lösen würde. Eine Zeitlang hatte er es auch wirklich versucht. Doch sie ließen ihn nicht ziehen. Sie brauchten ihn. Er war der Killer, der bedenkenlos und kaltblütig tötete, wenn es die Notwendigkeit erforderte. Jähzornig wurde er nur, wenn Laura ihn provozierte. Wenn sie oder später Alessio sich nicht fügen wollten in sein System von Schwarz und Weiß, Autorität und Gehorsam. Dann schlug er gnadenlos zu.
    Irgendwann begann er, sich dem Capo zu verweigern, und sie schöpfte neue Hoffnung auf ein Leben in Freiheit. Noch immer hatte sie nicht begriffen, dass sie Giorgio nicht retten konnte, und dass auch ihr kleiner Sohn verloren war, einfach durch die Tatsache seiner Geburt. Dann waren Giorgios Krankheiten gefolgt, Herzschwäche, Arbeitslosigkeit, Alkohol. Seine Söhne waren zu diesem Zeitpunkt schon geboren gewesen. Corrado und Alessio – sie waren durch Geburtsrecht Teil der Familie. Niemand entkam seinem Schicksal.
    Sie nahm die Ölflasche, steckte sie in den Abfalleimer und knallte den Deckel zu. Es war nicht gut, sich mit Erinnerungen zu umgeben. Tief unten in ihrer Tasche klingelte das Handy, und sie erlebte einen Moment der Schwäche. Vielleicht würden sie Alessio ja erlauben, mit ihr zu sprechen oder sie zu sehen? Nein, dachte sie. Schon der Gedanke an sie brachte ihn in Gefahr. Sie steckte das Handy unter die rosa Tagesdecke auf dem Doppelbett und ließ es weiterklingeln und zappeln wie ein

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