Blutiger Sand
über die elende Hitze und die anstrengende Fahrerei zu jammern.
„Mir reicht’s! Setz du dich jetzt ans Steuer.“
Ich dulde keine Widerrede, als er zu zetern beginnt.
„Ich bringe dir das Autofahren bei. Hier ist es ein Kinderspiel. In der letzten Stunde sind uns höchstens fünf andere Wagen begegnet.“
Maulend setzt sich Orlando ans Steuer. Ich weiß, dass er mit achtzehn den Führerschein gemacht hat. Die Grundkenntnisse des Autofahrens müsste er also beherrschen.
Kaum sitzt er am Steuer, fängt er an, sich wie ein verwöhntes Kleinkind zu benehmen.
„Wo ist die Kupplung?“, fragt er mit weinerlicher Stimme.
„Oh mein Gott! Probier’s einfach aus. Du wirst schon merken, wenn der Motor absäuft.“
„Ich hab alles vergessen, was ich in der Fahrschule gelernt habe.“
Er klingt so jämmerlich, dass ich beinahe Mitleid mit ihm bekomme. Aber dieses Mal gehe ich ihm nicht auf den Leim.
„Fahr einfach im zweiten Gang geradeaus, das wirst du wohl schaffen.“
Nachdem er kapiert hat, dass ich nicht nachgeben werde, steuert er den Wagen recht sicher mit dreißig Meilen geradeaus.
Die Straße führt weiterhin schnurstracks durch die Wüste. Nach einer Weile rate ich ihm, in den Dritten zu schalten. Auch das funktioniert tadellos. Ich lehne mich am Beifahrersitz zurück und schließe demonstrativ die Augen. „Das machst du ganz wunderbar“, lobe ich ihn.
Als wir das Monument Valley hinter uns gelassen haben und eine Ute-Reservation in Sicht kommt, wird der Verkehr ein wenig dichter und Orlando unsicher.
„Fahr einfach weiter, genauso wie bisher.“
„Die Ute-Indianer leben in besseren Verhältnissen wegen ihrer großen Casinos. Wirf mal einen Blick auf die neuen Casino-Hotels am Straßenrand.“
„Ich kann nicht schauen, muss mich auf den Verkehr konzentrieren“, sagt er verstimmt, obwohl momentan kein anderer Wagen in Sicht ist.
„Der Boden ist hier außerdem besser, fruchtbarer.“
„Halt den Mund, Kafka, dein Gequatsche macht mich nervös.“
Nach ein paar Meilen sind wir wieder auf Navajo-Gebiet. „Navajo National Monument“ steht auf einem großen Schild vor uns. Ich bitte Orlando, links abzubiegen.
Er nimmt die Kurve mit vollen Sachen. Der Wagen gerät ins Schlittern und wir landen im Straßengraben. Er hat das Lenkrad losgelassen. Seine Hände zittern und seine Augen sind feucht.
„Das macht nichts“, versuche ich ihn zu beruhigen. „Kann jedem passieren. Du warst einfach ein bisschen zu schnell.“
„Du hast mir zu spät Bescheid gesagt, dass ich abbiegen muss.“
„Ja, du hast Recht. Tut mir leid. Soll ich wieder fahren?“
Anscheinend hat ihn nun der Ehrgeiz gepackt. Er schaltet den Allradantrieb ein und bringt den kleinen Suzuki zurück auf die Fahrbahn. Erst auf dem Parkplatz vor dem National Monument bleibt er stehen.
Wir sind nahezu die einzigen Besucher. Es ist spät.
„Die Anasazi haben hier Ruinen zurückgelassen. Tolle Pueblo-Wohnungen. Ich möchte sie mir gern ansehen.“
Orlando zögert. Der kleine Ausrutscher von vorhin scheint ihm im Magen zu liegen.
„Wir können ohnehin nicht lange bleiben. Das Museum macht bald zu“, beruhige ich ihn.
Der Mann an der Kasse lässt uns noch hinein, verlangt aber keinen Eintritt. „Sie haben zwanzig Minuten“, sagt er.
Bevor der Abstieg zu den Felsenwohnungen beginnt, entdecken wir einen Hogan.
„Ist das nicht eine Schwitzhütte?“, fragt Orlando.
„Ich glaube ja. Jedenfalls sind Hogans die traditionellen Häuser der Diné und dienen auch als Zeremonieräume.“
Ein Indianer kommt uns entgegen. Er trägt eine Art Uniform, ist aber unbewaffnet. Ich halte ihn für einen Ranger.
Höflich ersucht er uns, kehrtzumachen. „Wir schließen in ein paar Minuten. Ich erzähle ihnen aber gern etwas über die Hogans, wenn Sie sich dafür interessieren.“
„Deswegen sind wir hier“, sage ich leicht gereizt. Diese Indianer sind pünktlich wie die Deutschen, denke ich verstimmt.
„Meist sind Hogans sechseckig. Die Tür zeigt immer in Richtung der aufgehenden Sonne, damit die Bewohner den neuen Tag begrüßen können. Der Bau eines Hogans muss unbedingt mit der Hand und mit heimischen Materialien ausgeführt werden“, rattert der Mann seinen Text herunter.
Ich kann ihm kaum folgen, weil er so schnell spricht.
„Viele dieser Häuser haben weder Strom noch Fließwasser. Eine kleine Gruppe von Hogans und ein Wohnwagen daneben deuten auf ein Zuhause für mehrere Generationen einer Familie hin. Die Navajo leben
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