Blutiger Spessart
Haus herum etwas regte. Nach einer angemessenen Zeitspanne erhob er sich und bewegte sich langsam vorwärts. Jetzt galt es, einen geeigneten Zugang zu finden. Gewaltanwendung kam natürlich nicht in Frage. Sein Besuch sollte spurlos erfolgen. Langsam ging er an der Hauswand entlang und inspizierte die Fenster. Sie waren alle verschlossen.
»Ein vorsichtiger Zeitgenosse, der Herr Oberstaatsanwalt«, murmelte Schmitt und schlich weiter. Kurz vor der Hausecke zur rückwärtigen Gebäudeseite befand sich ein vergitterter Kellerschacht. Schmitt kniete nieder und untersuchte das Gitter. Es hatte auf der einen Seite Scharniere, war aber nicht abgeschlossen. Im Schacht war ein Kellerfenster zu erkennen, das sich in Kippstellung befand.
»Doch nicht so vorsichtig, der Herr Oberstaatsanwalt«, stellte Schmitt zufrieden fest, dann griff er in seine Hosentasche und zog ein Paar reißfeste Gummihandschuhe heraus. Aus der anderen Tasche fischte er zwei Schutzüberzüge für seine Schuhe, wie sie aus hygienischen Gründen in Kliniken Verwendung fanden. Nachdem er sich präpariert hatte, klappte er das Gitter hoch und glitt in den Fensterschacht. Ohne große Mühe öffnete er das gekippte Fenster. Einen Augenblick später stand er in einem Kellerraum, der offenbar als Fahrradkeller diente. Außer zwei hochwertigen Rädern an der Wand war der Raum leer. Schmitt schloss das Fenster, dann bewegte er sich in den angrenzenden Flur. Es roch leicht nach Feuchtigkeit, die aus einer angelehnten Tür kam. Beim kurzen Blick in den Raum entdeckte er eine komfortable Sauna, eine Dusche und ein Solarium. Anerkennend pfiff er durch die Zähne. Die übrigen Räume wurden als Lagerräume für die verschiedensten Utensilien genutzt und enthielten nicht das, was er suchte.
Ein Stück weiter führte eine Treppe ins Erdgeschoss. Während er langsam emporstieg, zog er für alle Fälle seine Waffe. Er hasste Überraschungen. Ganz vorsichtig öffnete er die Türe, die den Kellerbereich von der übrigen Wohnung trennte. Schmitt hatte außerhalb des Hauses keinerlei Hinweise auf eine eventuell vorhandene Alarmanlage gesehen. Auch das Kellerfenster, durch das er eingestiegen war, hatte keine diesbezügliche Sicherung gehabt. Trotzdem sah er sich erst einmal um. Von seinem Standort aus hatte er gute Sicht auf den Flur und die Hauseingangstüre. An der Wand im Hausgang konnte er kein Terminal erkennen, mit dem man eine Alarmanlage hätte ein- oder ausschalten können. Nur dort hätte es Sinn gemacht. Offenbar war das Haus ungeschützt.
»Der Herr Oberstaatsanwalt ist sehr leichtsinnig«, stellte er fest.
Langsam schlenderte Schmitt durch die Räume des Erdgeschosses. Die Wohnung war eher konservativ eingerichtet. Eiche hell rustikal. Im dritten Raum fand Schmitt, was er suchte, das Arbeitszimmer. Schreibtisch, Computer, eine Couch und gut bestückte Bücherregale mit überwiegend juristischer Literatur. In der Ecke neben dem Fenster stand ein fast mannshoher, wuchtig wirkender Tresor: der Waffenschrank. Er verfügte über ein Schloss, das mittels einer Kombination zu öffnen war. Schmitt schenkte dem Tresor nur einen flüchtigen Blick. Davon würde er die Finger lassen. Dieses Ding zu öffnen, ohne Spuren zu hinterlassen, war aussichtslos. Neben dem Tresor stand ein geräumiger Holzschrank, den der Eindringling vorsichtig öffnete. Als er den Inhalt kurz überflogen hatte, schnaubte er zufrieden. Hier verwahrte der Hausherr seine Jagdklamotten und diverse Utensilien. In einem abgeteilten Fach standen mehrere Leitzordner, die ihrer Aufschrift nach Revierunterlagen enthielten. Daneben lag eine Lederbrieftasche. Schmitt nahm sie heraus und öffnete sie. Sie enthielt, was er suchte: Kerners Jagdschein und zwei grüne Waffenbesitzkarten. Schmitt schlug sie auf und studierte die Angaben zu Kerners Waffenbesitz. In der zweiten Karte wurde er fündig. Er nickte zufrieden. Simon Kerner nannte ein halbautomatisches Gewehr Marke Remington, Kaliber .35 Whelen, sein Eigentum.
»Mein lieber Herr Oberstaatsanwalt«, murmelte Schmitt, während er die Papiere wieder sorgfältig verstaute und ordentlich an ihren Platz zurücklegte, »ich fürchte, sie haben ein finsteres Geheimnis und damit jetzt ein großes Problem.«
Der Eindringling verließ das Haus, wie er es betreten hatte. Lediglich das ursprünglich gekippte Fenster im Keller war nun nicht mehr gekippt, sondern beigezogen, weil es ihm von außen nicht möglich war, es wieder in die Kippstellung zu bringen.
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