Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition)
Vater?«
Einen Augenblick schwieg er, dann drehte er sich zu ihr um. Tränen standen in seinen Augen.
»Was soll ich tun? Auch wenn er im Unrecht ist, er ist und bleibt mein Vater. Irgendwann wird er alles kaputtgemacht haben. Sein ganzes Leben lang hat er alles darangesetzt, Menschen zu manipulieren, damit sie das taten, was er wollte. Ihm war egal, ob sie frei und glücklich oder in Fesseln waren, Hauptsache, er konnte sie befehligen. Seit dem Vorfall auf dem Marktplatz in Osberg, und dann später in Sandleg, gibt es für ihn nur noch zwei Dinge: Er will dich mir wegnehmen, und er will den Stein zurück. Wenn er herausfindet, dass sich beides hier befindet, wird er alles unternehmen, um herzukommen. Er wird nicht ruhen, bis er den Splitter wieder in Händen hält und dich ...« Finnegan versagte die Stimme.
Cindiel schloss ihn in die Arme und strich ihm wie einem Kind über das Haar.
»Wenn er mich dazu zwingt, werde ich ihn umbringen«, schluchzte er.
Das war mehr, als Cindiel erwarten konnte und wollte. Aber noch war es nicht so weit, und noch konnten sie den Stein in Sicherheit bringen, bevor jemand herausfand, wo er steckte. Was mit ihr und Finnegan geschah, war derzeit zweitrangig. Ohne die Götter würde es für sie ohnehin keine Zukunft geben - für sie nicht und für niemanden.
»Ich liebe dich«, flüsterte er, küsste sie und schloss sie in seine Arme.
Cindiel hätte ewig so dastehen können, doch ein Blick über Finnegans Schulter verriet ihr, dass sie nicht mehr lange allein sein würden.
Der Eingang zur Zwergenfeste lag etwas erhöht. Von hier aus hatte man eine gute Aussicht über die Mauer und das dahinterliegende Tal. Von der weiten Fläche Grünland und dem anschließenden Wald hob sich deutlich eine einzelne Gestalt ab, gehetzt von einer dreißig bis vierzig Mann starken Reiterei.
»Sie kommen«, flüsterte Cindiel.
Finnegan stieß die junge Frau erschrocken zurück und wirbelte herum.
»Sie haben Verstärkung bekommen«, sagte er. »Wir haben keine Zeit mehr. Lass uns abhauen, vielleicht hält sie der Oger noch ein wenig auf.«
»Ist das Gnunt oder Tastmar?«, fragte Cindiel, als ob sie gar nicht verstanden hatte, was er von ihr wollte.
»Welchen Unterschied macht das?«, fragte er fassungslos. »Wir müssen verschwinden, hörst du?«
Cindiel drehte sich zu Finnegan um und legte ihm zwei Finger auf die Lippen. Sie nahm seine Hand und drückte sie fest.
»Du und die anderen, ihr werdet schon vorausgehen. Sucht nach dem Ausgang auf der Ostseite. Sobald ich hier fertig bin, werde ich nachkommen.«
»Fertig womit?«, fragte Finnegan entsetzt. »Er wird es nicht schaffen, und du auch nicht, wenn du nicht mitkommst.«
»Mogda war immer für mich da. Jeder Oger, den er mir bislang zur Seite gestellt hat - und er selbst auch - hätte sein Leben gegeben, um mir zu helfen. Ich kann jetzt keinen von ihnen zurücklassen, ohne alles in meiner Macht Stehende zu tun, ihn zu retten«, erklärte sie. »Es wird Zeit, dass wir uns ein wenig Respekt verschaffen, und damit auch etwas Vorsprung. Wenn wir sie nicht aufhalten, werden sie uns weiterjagen und zu Tode hetzen, wie ein Rudel Wölfe ein Stück Wild. Gehe jetzt!«
»Was hast du vor?«, stammelte Finnegan und wollte sie erneut umarmen. Cindiel stieß ihn zurück.
»Geh jetzt!«
Finnegan wich einige Schritte nach hinten, dann drehte er sich um und begann zu laufen. Cindiel sah ihm nach, bis er in der Dunkelheit des Tunnels verschwunden war. Als sie sich dem Schauspiel vor den Ruinen der Zwergenfeste zuwandte, hatte der Oger bereits die Hälfte der Strecke hinter sich gelassen. Seine Verfolger waren ihm immer noch dicht auf den Fersen, doch schafften sie es nicht, ihn einzuholen. Eine Bewegung an der Innenseite der hohen steinernen Wehrmauer zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Hinter einem der großen Quader hockte Gnunt, wie sie unschwer erkennen konnte. Die riesige Keule und seine massige Gestalt ließen keinen Zweifel daran, dass er es war. Er belauerte die Hetzjagd, die auf ihn zustürmte.
»Ihr habt einen Plan, stimmt es?«, flüsterte sie gedankenverloren. »Ihr seid mutig wie kein anderes Volk, doch werdet ihr es ohne Hilfe nicht schaffen. Sie sind zu viele.«
Cindiel zog das Lederbündel mit dem gelben Funken aus der Tasche und öffnete vorsichtig das Band. »Wenn du aus einem Kleriker einen Zauberer machen kannst, was machst du dann aus mir?«, sprach sie zu dem Kristall. Zaghaft zog sie an dem Ledertuch und ließ den gelben Kristall
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