Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition)
Geröll war tückisch und barg eine hohe Verletzungsgefahr für die Pferde. So, wie Gnunt es gesagt hatte, mussten sie der Furt nur weiter folgen, um auf dem rechten Weg zu bleiben. Jetzt dämmerte es bereits, und die Sonne zeigte sich als goldene Scheibe hinter den Bergen.
Finnegan ließ sich mit seinem Pferd zurückfallen und ritt neben Cindiel und Hagrim her. Er deutete nach Osten in die Berge.
»Siehst du die Steilwand, die geformt ist wie ein großes Blatt?«, fragte er. »Genau dort befindet sich der Eingang zur Zwergenfeste.«
Cindiel musste die Augen zusammenkneifen, fand dann aber die Steinformation, auf die er zeigte.
»Was ist das für ein graues Band am Fuß der Berge?«, fragte sie.
»Das ist die Wehrmauer«, erklärte er. »Sie ist an vielen Stellen verschüttet oder durchbrochen. Wir werden keine Probleme haben, sie zu passieren. Wenn wir erst einmal hinter den Mauern verschwunden sind, haben wir es geschafft. Die Söldner werden es nicht wagen, uns dorthinein zu folgen. Die Gefahr, dass wir sie in einen Hinterhalt locken, ist zu groß.«
Cindiel missfiel der Gedanke, dass die Söldner Gnunt und Tastmar getötet haben könnten und immer noch ihrer Fährte folgten. Sie wagte es aber nicht, Finnegan dies zu sagen. Ihr Liebster hatte sich irgendwie verändert. Zu Anfang dachte sie, es läge daran, dass sie zusammen mit Hagrim aus der Stadt geflüchtet war. Dann schob sie seine Zurückhaltung auf den Disput mit seinem Vater. Doch mittlerweile war sie davon überzeugt, dass Finnegan seinen Auftrag, sie zu beschützen, so ernst nahm, dass in ihm kein Platz für etwas anderes mehr war. Sicherlich war er jemand, der seine Aufgaben mit Bravur erledigen wollte, doch hatte er diese Seite bislang noch nie gezeigt, solange er mit ihr zusammen gewesen war.
Hagrim war zu müde, um einen seiner lästerlichen Kommentare abzugeben, und dafür war Cindiel den Göttern dankbar, wo immer sie auch sein mochten.
Das feine graue Band am Fuß der Berge wuchs weiter an, bis schließlich die Mauer sichtbar wurde, ihre klaffenden Lücken und die riesigen, zum Teil sechs Fuß hohen Quader, die davorlagen wie verstreute Ziegel. Jeder dieser Steine mochte das Gewicht von mehreren Ochsen haben. Sie zu bewegen schien unmöglich, und dennoch musste es jemanden geben, der sie bearbeitet und zusammengefügt hatte. Umso deutlicher wurde es, dass nur die Kraft der Götter diese Mauer zum Einsturz gebracht haben konnte. Ein schmaler Spalt, der zuvor nicht mehr gewesen war als ein hoher dünner Riss zwischen den Steinquadern, wurde beim Näherkommen zu einem Durchbruch. Jetzt, wo sie ihn erreicht hatten, konnten sie zu zweit nebeneinander hindurchreiten.
Eine halbe Meile vor ihnen lag der Eingang zur Zwergenfeste. Auf dem Weg dorthin passierten sie die Überreste von mehreren Wachgebäuden und einem Beobachtungsturm, der mittlerweile nur noch bis zum zweiten Geschoss reichte und von innen ausgehöhlt war. Cindiel fragte sich, warum der Eingang zur Zwergenfeste so schmucklos und kahl dalag, bis ihr auffiel, dass es sich bei dem Tunnelende gar nicht um den Eingang handelte, sondern nur um einen eingestürzten Teil davon. Ein Erdrutsch musste den ganzen vorderen Teil der Zwergenfeste mit sich gerissen haben. Übrig blieben nur die kahle Wand im Felsmassiv und ein Stück Tunnel, das in die Feste führte.
»Was ist hier passiert?«, fragte Cindiel verwundert. »Wer hat das alles zerstört? Es sieht aus, als ob die Feste einer Belagerung zum Opfer gefallen ist. Waren das die dunklen Elfen aus dem Meer?«
Mittlerweile schien auch Hagrim wieder aufgewacht zu sein. Cindiel spürte, wie er sich an ihren Schultern festhielt und sich von einer Seite zur anderen beugte. »Das waren nicht die schleimigen Spitzohren. So viel Verwüstung kann man nur mit großen Belagerungsmaschinen anrichten. Stein beugt sich niemals Stahl. Nur Stein zertrümmert Stein.«
Finnegan mischte sich wieder ein. Noch immer hielt er an seiner kühlen und überlegten Art fest, dennoch hörte Cindiel in seiner Stimme etwas Schadenfreude heraus. Schadenfreude darüber, dass Hagrim von der Zerstörung nichts wusste.
»Glaubst du nicht, alter Mann, dass du von einem Krieg in Nelbor gehört hättest, der eine ganze Feste in Schutt und Asche gelegt hat? Es hätte tausende Krieger gebraucht und wenigstens ein Jahr gedauert, diese Mauern zum Einsturz zu bringen.«
»Und, was soll mir das jetzt sagen?«, fragte Hagrim gereizt.
»Es ist noch kein halbes Jahrhundert her, da
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