Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition)
würde, doch dem war nicht so. Äußerst gefasst, stand Cindiel mit dem Rücken zu einer Hauswand und besah sich die aufgebrachte Menge und ihre Anpeitscher. Nach wenigen Augenblicken setzte sie sich in Bewegung. Mit überzogener Höflichkeit und weiblichem Charme bahnte sie sich einen Weg durch die Menge. Die, welche sie erkannten, wichen erschrocken zurück, die Übrigen drängten sich hinter ihr wieder zusammen und schlossen die Lücke.
Hagrim hatte erneut Schwierigkeiten, ihr zu folgen. Anscheinend reichte sein Charme nicht aus, seine äußerlichen Makel wettzumachen. Bald war Cindiel außer Sicht, und Hagrim hoffte, dass ihn niemand wiedererkannte. Doch keiner scherte sich mehr um den alten Geschichtenerzähler, denn einer der drei Kleriker war unverhofft auf den Rand des Brunnens gesprungen und erhob gerade die Stimme. Wie ein Fürst, der zu seinem Volk sprach, stand er mit erhobenen Händen da.
»Seht euch an, was passiert, wenn man mit den Horden Tabals einen Pakt schließt. Habt ihr gedacht, Prios schaut einfach zu, wie ihr mit diesen Unholden gemeinsame Sache macht, und straft euch nicht? Anstatt Reue zu zeigen und zu versuchen, diesen Fehler wiedergutzumachen, verlasst ihr euch nun auf die Heilkraft einer Hexe. Glaubt ihr auch, sie wird euch eure Kinder gebären und euch vor dem Zorn der Kreaturen Tabals beschützen? Das wird sie nicht. Alles, was sie versucht, ist, aus eurer Not Profit zu schlagen.«
Die Zuhörer waren scheinbar geteilter Meinung. Einige nickten und sahen dabei aus wie Hühner, die Brotkrumen pickten. Andere schüttelten empört den Kopf und suchten nach Zustimmung bei den Leuten neben sich. Die übrige Meute stand einfach nur da und gaffte mit offenen Mündern den Kleriker auf dem Brunnen an.
Hagrim kannte nur einen dieser in dunkle Ornate gewandeten Priester - den auf dem Brunnenrand. Llinus war vor vier Jahren aus Lorast in die Stadt gesandt worden, um den örtlichen Priostempel zu übernehmen. Der sonst sehr zurückhaltende Diener Gottes hatte bisher nicht gerade durch große Taten auf sich aufmerksam gemacht. Er tat, was in seiner Macht stand, doch leider beschränkte sich dies auf Reden, seitdem die Götter sich zurückgezogen hatten. Er machte keinen Hehl daraus, dass er die Übereinkunft mit den Ogern nicht billigte, und er war nicht allein mit dieser Meinung. Doch diese hetzerische Rede klang nicht nach Llinus, und die schulterklopfende Geste der beiden anderen Kleriker zeigte Hagrim, dass Llinus' Worte ihm diktiert worden waren. Gehorsam rückte der junge Priester nun ein Stück zurück und machte den beiden fremden Klerikern auf dem Brunnen Platz. Der ältere von ihnen trat vor und hob die Arme, um sich Gehör zu verschaffen.
»Leute aus Osberg, hört mir zu. Wollt ihr weiterhin mit der Missgunst der Götter leben? Ich sehe, wie die Welt zerbricht und im Chaos versinkt. Es wir Zeit, Prios ein Opfer zu bringen und um Vergebung zu bitten. Diesmal können wir uns nicht auf einen König oder die Lords des Landes verlassen. Es wird Zeit, dass jeder Mann, jede Frau und jedes Kind Prios, dem Gott der Ordnung, die Verehrung erweist, die ihm gebührt.«
»Was sollen wir tun, damit Prios uns erhört?«, rief jemand aus der Menge.
»Das kann ich dir sagen«, rief der Kleriker und zeigte dabei wahllos auf verschiedene Männer in der Menge, die einen entschlossenen Eindruck machten. »Schließt euch uns an und kämpft mit uns. Wir, die Priester des Prios, suchen in jeder Stadt mutige Recken, die sich uns im Kampf gegen die Kreaturen Tabals anschließen. Wir führen das zu Ende, was die Soldaten vor Jahren nicht geschafft haben. Wir werden die Unholde suchen und richten. Kein Ork, kein Troll und kein Oger sollen in diesem Land mehr übrig bleiben. Erst wenn wir sie restlos vernichtet haben, wird sich Prios uns wieder zeigen und uns seine Gunst zuteil werden lassen.«
»Ihr seid verblendet. Ihr sucht den Grund für eure Entmachtung bei denen, deren Ziele ihr nicht versteht«, schrie da jemand aus der Menge. Hagrim kannte diese Stimme und den gereizten Tonfall nur zu gut.
Cindiel stieß einige Zuhörer unsanft beiseite, um näher an den Brunnen zu kommen. Schnell hatten die Leute sie erkannt und hielten Abstand zu der Hexe. Binnen weniger Augenblicke stand sie völlig allein in der Mitte eines Kreises, der sich um sie herum gebildet hatte.
»Wer bist du, dass du dich erdreistest, so mit einem Kleriker des Prios zu sprechen?«, brüllte sie der Priester an.
»Ich bin die Besitzerin
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