Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition)
entgegenhielt. Ihre Eitelkeit hatte sie damals dazu gebracht, den kleinen Haufen roter Kugeln herunterzuschlucken, nur um zu beweisen, dass sie Recht hatte. Danach verblassten die Bilder, und alles, woran sie sich erinnern konnte, waren dieser ungestüme Hass in ihr und der Drang danach, jemandem wehzutun.
Jetzt saß sie von Zeit zu Zeit da und probierte vorsichtig eine dieser Beeren. Jedes Mal nahm sie den typisch bitteren, mehligen Geschmack im Mund wahr und fühlte sich erleichtert. Solange Trommelbeeren noch Trommelbeeren schmeckten, gab es nichts zu befürchten.
»Nichts zu befürchten«, murmelte sie leise vor sich hin, »das ist das Problem.«
Das Gleichgewicht schien zwar wieder hergestellt. Natur, Magie sowie Chaos und Ordnung hatten wieder ihren Platz auf dieser Welt. Doch was nützte das alles, wenn die Gunst der Götter fehlte? Ohne die Möglichkeit, Kinder zu gebären? Vielleicht schliefen die Götter. Vielleicht hatten sie diese Welt auch verlassen oder waren gar tot, falls Götter überhaupt sterben konnten. Doch wenn sie nicht bald wiederkehrten, würden sie bei ihrer Rückkehr niemanden mehr vorfinden.
Wieder hämmerte es gegen die Tür. Diesmal am Vordereingang.
»Rodney, hau ab! Von mir bekommst du keine Tränke mehr, egal wie viel du mir bezahlen willst«, schrie Cindiel wütend.
Jemand schnaufte gequält und rüttelte erneut an der Tür.
»Mach auf, Prinzessin, ich brauche deine Tränke nicht. Mir fehlt nichts, was man mit einer Flasche Rotwein nicht auch kurieren könnte.« Die Stimme gehörte eindeutig zu Hagrim, auch wenn sie diesmal noch leidender klang, als sie es sonst ohnehin schon tat.
Cindiel erhob sich genervt von ihrem Stuhl und schlurfte zur Tür. »Was ist passiert, dass du dich schon blicken lässt, bevor es wieder hell wird?«
Als Cindiel die Tür aufzog, wusste sie, wieso, nur nicht, wie es dazu gekommen war. Hagrim hielt sich die Schläfe. Blut sickerte zwischen seinen Fingern hindurch und färbte die Ärmel seines Hemdes rot. Sofort tat Cindiel die spitzfindige Bemerkung leid, doch ihr fehlten die Worte. Hagrim ließ ihr ohnehin keine Zeit, sich zu entschuldigen.
»Wie du dich vielleicht erinnerst, war ich in deinem Namen unterwegs. Ich war auf der Suche nach Kranken und Leidenden, um sie mit deinen grässlich schmeckenden Tränken und stinkenden Tinkturen zu versorgen. Helfen wollte ich, und zum Dank veranstalten die Priester des Tempels eine Hetzjagd auf mich.«
»Was ist passiert?«, rief Cindiel entsetzt.
»Hörst du mir eigentlich nicht zu? Ich habe deine Tränke und Salben unter das Volk gebracht, bis diese Abordnung von Priosklerikern kam und Hetzreden gegen dich und deine Hexenkunst geschwungen hat. Zuerst habe ich sie einfach ignoriert, doch plötzlich hatte sich eine ganze Meute um mich versammelt. Als ich gerade zum wortgewandten Gegenschlag ausholen wollte, traf mich ein Stein am Kopf. Danach bin ich gerannt.«
»Die Priester haben das getan?«
»Prinzessin, du trinkst doch nicht heimlich, oder? Ich habe gesagt, jemand hat einen Stein nach mir geworfen. Ich konnte nicht sehen, wer es war, aber ich vermute, es war ein Steinewerfer. Trotzdem wäre es schön, wenn ich all deine Fragen erst beantworten müsste, nachdem du mich verarztet hast.«
Cindiel zog Hagrim ins Haus und stützte ihn, bis er sich auf einem Stuhl niedergelassen hatte. Hektisch kramte sie einige Arzneien hervor, bestrich einen Stofffetzen mit einer Salbe aus einem Tiegel und betupfte damit Hagrims Wunde.
»Autsch, was machst du da? Lass das sein. Quäle keine Wehrlosen mit deinen Froscheingeweiden und Spinnenbeinen. Rück lieber die Flasche Rotwein raus, die du dir für einen gemütlichen Abend mit Finnegan aufgehoben hast.«
Cindiel hatte tatsächlich eine Flasche versteckt. Woher Hagrim davon wusste, war ihr jedoch schleierhaft. Bereitwillig zog sie den Rotwein aus einem Stapel Brennholz hervor und überreichte den guten Tropfen feierlich dem Geschichtenerzähler.
»Warum hast du ihn dort versteckt?«
Cindiel baute sich mit verschränkten Armen vor ihm auf. »Du hattest aufgehört zu trinken, und ich wollte dich nicht in Versuchung führen. Außerdem dachte ich, im Feuerholz sei das sicherste Versteck hier im Haus, da du niemals auf die Idee kommen würdest, den Ofen anzumachen oder Essen zu kochen.«
»Schlaues Kind«, brummte Hagrim. »Ich hatte aber ebenfalls aufgehört, mich mit Steinen bewerfen zu lassen. Da Letzteres nu wieder beim Alten ist, ist dies der beste Augenblick,
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