Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition)
den Krieg erklärt.«
Ruckartig drehte Cindiel den Kopf und starrte in die Flammen des brennenden Karrens. Sie ballte die Hände zu Fäusten und schloss dann die Augen. Kurz darauf schlängelten sich die Flammen weit nach oben und wanden sich in Spiralen um sich selbst, bis sie keine Nahrung mehr fanden. Dann verzwirbelten sich die dünnen Feuerfäden und schlossen sich zu einer Säule zusammen. Wie ein Spross entwuchs dem Flammenmeer ein langes brennendes Band und kroch in Windeseile um den Brunnen herum. Die drei Kleriker wurden von den züngelnden Flammen eingeschlossen.
Cindiel wandte sich wieder dem Brunnen zu. Noch immer war sie wie in Trance. Plötzlich entstieg dem Brunnen eine dampfende Fontäne, und von den Steinen des Brunnenrandes platzten Splitter ab und schossen durch die Menge. Schreiend flüchteten die Osberger in alle Richtungen. Die Kleriker warfen sich zu Boden und breiteten ihre Ornate schützend über sich.
Im Hintergrund hörte Hagrim das Schlagen von Schwertknäufen auf Schilden. Er sprang vor und packte Cindiel am Arm. »Du hast es geschafft. Die Wachen kommen. Lass uns verschwinden«, flüsterte er ihr ins Ohr und zog sie mit sich fort.
5
Asche im Wind
Das lange hölzerne Gebäude im Zentrum des Dorfes war hell erleuchtet. Die Wände des Hauses, erbaut aus ganzen Stämmen, glichen den Palisaden kleinerer nelborianischer Dörfer und schienen äußerst robust. Die Öffnungen für Fenster und Türen hatte man erst später in die Wände geschlagen. Das flache Spitzdach war belegt mit Grassoden und verhinderte, dass das Haus auskühlte.
Immer mehr Dorfbewohner kamen aus ihren Häusern und folgten den matschigen Pfaden bis hin zu dem Langhaus. Die Siedlung, bestehend aus etwa einem Dutzend Holzhäusern, ein paar Ställen und einem Brunnen, lag auf einem Hügel. Als einzige Verteidigung diente ein angehäufter Erdwall mit angespitzten Pfählen, deren Enden nach außen wiesen. Höchstens achtzig Seelen konnten hier leben, und wie es aussah, übernachteten sie alle in dem Langhaus.
Jeder Einzelne wurde von den beiden Wachen, die weite Pelzumhänge trugen, am Eingang durch ein kurzes Nicken begrüßt, bevor er im Inneren verschwand. Immer wieder stützten sich die kräftig aussehenden Männer auf ihre Hellebarden, um sich herabzubeugen. Diese Haltung war kein Zeichen der Schwäche, sondern galt den vielen Kindern, die in kleinen Gruppen, begleitet von je zwei Frauen, zum Langhaus geführt wurden.
Rator hatte sich ein Versteck hinter einem größeren Steinhaufen gesucht. Die Felsbrocken waren von den umliegenden Feldern zusammengetragen und hier abgelegt worden. So hielten es auch die Bauern in Nelbor, doch dort ruhten die Felder nicht das ganze Jahr unter einer dicken Eisschicht, wie sie es in diesen Landen taten. Rator fragte sich, warum jemand einen Acker bestellte, der ewig unter Eis lag. Dies war aber bei Weitem nicht die einzige Absonderlichkeit in diesem fernen Land hinter dem Meer, nördlich von Nelbor und dem roten Sumpf.
So waren die Gebäude beispielsweise auf Pfählen errichtet, die gerade einmal drei Fuß aus der Erde ragen mochten und sicherlich niemanden davon abhielten, in die Häuser einzudringen. Außerdem schien der Schutzwall mehr abzuschrecken, als zu schützen. Einzig und allein gegen Reiter wären die Pfähle wirkungsvoll, falls jemand daran interessiert war, ein Dorf mitten im Nichts zu überfallen, um armes Bauernpack auszurauben. Aber genau das hatte Rator vor. Ihm reichte allerdings schon ein einziges Stück Vieh, denn er hatte nagenden Hunger.
Es war noch zu hell, um sich näher ans Dorf zu wagen. Zwar wurde es hier nie richtig dunkel, aber immer wenn die Sonne untergegangen war und sich Wolken vor den Mond schoben, gab es kurze Momente des Zwielichts. Diese Momente galt es für Rator zu nutzen. Er lehnte sich zurück und versuchte, das quälende Gefühl in seinem Magen zu vergessen. Er rückte seinen Brustpanzer zurecht und zerrte an einem Beinschutz. Die Kälte war allgegenwärtig. Nie hätte er gedacht, dass ihm Schnee und Eis zu schaffen machen könnten. Doch jetzt wäre es ihm lieber gewesen, er würde einen dieser Pelzumhänge der Wachen sein Eigen nennen, oder am besten gleich beide - ein Oger war groß. Skeptisch betrachtete er den kleinen Lederbeutel, den er um den Hals trug. Seine Gedanken schweiften ab und ließen ihn die Kälte vergessen. Erinnerungen aus
vergangenen Tagen stiegen wieder auf.
Fast ein Jahr mochte es her sein, dass ihm Tusfell, die
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