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Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition)

Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition)

Titel: Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Russbült
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auch wieder mit dem Trinken anzufangen.«
    Der Korken war schneller aus der Flasche heraus, als ein Meuchelmörder seinen Dolch hätte ziehen können. Während der alte Geschichtenerzähler sich alle Mühe gab, die Flasche zu leeren, bevor sie doch noch einem romantischen Zweck zum Opfer fiel, reinigte Cindiel seine Wunde. Fürsorglich wusch sie das Blut aus seinen langen grauen Haaren und dem Bart. Sie bestrich die Wundränder mit einer schwarzen Paste und murmelte einen Zauber, um die Blutung zu stillen.
    »An dir ist eine richtige Priesterin verloren gegangen«, sagte Hagrim, nachdem er den letzten Schluck getrunken hatte. »Eigentlich sollten wir im Tempel des Prios leben, und die Kleriker müssten sich hier mit Frau Mergil und ihrem Taugenichts von Mann herumschlagen.«
    Seit wann fühlst du dich zu etwas Höherem berufen?«, neckte ihn Cindiel. »Ich dachte, es gefällt dir hier in unserem bescheidenen Heim.«
    »Tut es auch, und es sind keine höheren Ziele, die mich antreiben. Im Gegenteil, es kann für mich gar nicht weit genug hinuntergehen. Hast du schon mal den Weinkeller im Tempel gesehen?«, lachte Hagrim.
    Plötzlich sprang Cindiel von ihrem Hocker auf und rannte zur Vordertür. Ein kurzer Blick hinaus reichte ihr. Sie schlug die Tür wieder zu, ging zu Hagrim, fasste ihn unter dem Kinn, damit er sie ansah, und blickte ihm tief in die Augen. »Wo ist der Karren mit all den Salben, Tränken und Pulvern?«, fragte sie barsch.
    »Sie hätten mich beinahe gesteinigt. Es war wie im Krieg. Was sollte ich tun? Ich musste ihn zurücklassen. Dachtest du etwa, ich ziehe ihn schwer verletzt und blutüberströmt durch die Reihen des Feindes, nur um ein paar übel riechende Pasten zu retten?«
    Cindiel strafte Hagrim diesmal nicht mit einer ihrer Standpauken oder, was meist noch schlimmer war, mit diesem Blick, der sagen sollte: »Wie hast du es geschafft, so alt zu werden und nie etwas richtig zu machen?« Sie wusste, er konnte nichts dafür, auch wenn seine Schilderungen etwas übertrieben klangen. Er war und blieb eben ein Geschichtenerzähler.
    Cindiel verlor keine Zeit. Sie warf sich ihre Stola über und steckte einen Dolch ein. Hagrim verzog das Gesicht, als ob er sagen wollte: »Ich habe es gewusst«, und folgte ihr stillschweigend, nachdem er nochmals überprüft hatte, dass wirklich nichts mehr in der Flasche war.
    Die Straße vor dem Haus ließ noch nichts von dem erahnen, was Hagrim geschildert hatte. Fahrende Händler brachten ihre Waren nach einem langen Markttag zurück in die großen Lagerhäuser. Die letzten Geschäfte schlossen gerade ihre Türen, und die Kneipen füllten sich. Nachtschwärmer liefen umher und trafen sich mit Gleichgesinnten oder solchen, die es werden wollten.
    »Am Stadtbrunnen, auf dem alten Marktplatz«, kam Hagrim Cindiels Frage nach dem Verbleib des Karrens zuvor. »Dennoch glaube ich nicht, dass es eine gute Idee ist, jetzt schon dorthin zurückzukehren. Vielleicht sollten wir abwarten, bis sich die Gemüter beruhigt haben.«
    »Ich werde mich sicher nicht beruhigen, bis ich den Karren wiederhabe. Sollen diese gottlosen Kleriker nur sehen, was sie davon haben, wenn sie sich mit einer Hexe anlegen«, schnaubte Cindiel vor Wut.
    Schnurstracks bahnte sich Cindiel ihren Weg durch die engen Gassen. Ihr energischer Gang ließ keinen Zweifel daran, wohin sie sich begab: zu einem Rendezvous oder einem Kriegsrat. Die meisten Leute, die ihren Weg kreuzten, machten einen großen Bogen um die junge Hexe oder versteckten sich gar im Schatten von Hauseingängen. Hagrim hatte Schwierigkeiten, mit ihr mitzuhalten. Er sah aus wie ein Lakai, der hinter seiner Herrin herlief. Am Ende der übernächsten Gasse zeichnete sich der hell erleuchtete Marktplatz ab, immer noch angefüllt mit Schaulustigen.
    Als Cindiel den Platz erreichte, traute sie ihren Augen kaum. Es waren mehr Menschen zusammengekommen als bei einer Parade von Lord Felton, dem Fürst von Osberg und den umliegenden Ländereien. Alle starrten auf die Mitte des gepflasterten Platzes. Wie Hagrim gesagt hatte, stand der Karren neben dem Brunnen. Irgendjemand hatte ihn in Brand gesetzt. Wie bei einem Scheiterhaufen standen die Leute darum herum und begafften das Spektakel. Drei Kleriker des Prios hatten sich am Brunnen postiert. Ihre Gesichter zeigten Genugtuung, und sie schienen das Schauspiel zu genießen.
    Hagrim erwartete, dass Cindiel einen ihrer Wutausbrüche bekommen und sich schreiend und schnaubend durch die Menge prügeln

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