Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition)
Verfolgern den Rücken. Wenn sie ein Lager aufschlugen, würden sie bestimmt mehrere Stunden rasten. Das war genügend Zeit für einige Meilen neuerlichen Vorsprungs. Wenn er erst einmal außer Sicht gelangt war, würden sie schon die Lust daran verlieren, ihm hinterherzulaufen.
Rator hatte noch keine halbe Meile zurückgelegt, da spürte er eine Erschütterung im Boden. Zuerst erinnerte es ihn an heranstürmende Reiterei, doch da das Beben sich nicht genau lokalisieren ließ und die Pferde auf dem flachen Land schon lange hätten in Sichtweite sein müssen, verwarf er diesen Gedanken schnell. Eines stand auf jeden Fall fest: Die Erschütterungen kamen auf ihn zu, und zwar in breiter Front.
Rator suchte den dunstigen Horizont vor sich ab. Der weiße Nebel verschlang alles. Einzig und allein ein schmales flimmerndes Band trennte Erde und Himmel voneinander. Eigenartigerweise wurde eben dieses Band immer breiter. Hinzu kam jetzt noch ein Grollen in der Luft wie von weit entfernten Trommelschlägen. Rator kam die Flutwelle in den Sinn, die ihn und seine Kameraden vor einigen Jahren in der roten Wüste überrollt hatte. So eine Naturgewalt konnte es unmöglich ein zweites Mal geben, jedenfalls nicht hier und nicht jetzt.
»Schnee zu Wasser, Wasser zu Dunst«, brummte er und hoffte, dass wirklich nur Dunst übrig blieb.
Rator hatte nur zwei Möglichkeiten: stehen bleiben und sehen, was ihn erwartete, oder laufen und sich in Sicherheit bringen. Die Entscheidung fiel nicht schwer bei den möglichen Ursachen für das Grollen. Hätte er geglaubt, das Grollen bekämpfen zu können, wäre er stehen geblieben.
Rator rannte auf eine Gruppe Felsen zu, die eine weitere halbe Meile nördlich von ihm lagen. Ein paar Steine waren zwar nicht die Lösung für ein unbekanntes Grollen, doch außer diesen Felsen gab es nichts anderes. Das mittlerweile breit funkelnde Band über dem Boden wurde weiterhin stetig größer. Entfernt erinnerte es an die Brandung des Meeres, nur war es gleichmäßiger und länger als die Wellen.
Die Felsen waren keine hundert Schritt mehr entfernt, als die Vorboten des Grollens Rator erreichten. Hagelkörner, so groß wie Hühnereier, schlugen um ihn herum ein. Viele zerplatzten am Boden, andere sprangen hüfthoch wieder in die Luft und wurden von den nachfolgenden Eisbrocken getroffen, die dann in der Luft splitterten wie Glas. Schmerzhaft trafen Rator die ersten Hagelkörner am Rücken und den Waden. Sein Körper verkrampfte sich. Dumpfe Schläge waren besser zu erdulden, wenn man die Muskeln anspannte.
Weitere Hagelkörner prasselten auf ihn nieder und trafen ihn auch am Kopf. Er spürte, wie warmes Blut in seinen Nacken lief und der stechende Schmerz von Taubheit überlagert wurde. Er versuchte, sich mit den Händen zu schützen, doch die Wucht der eisigen Geschosse riss sie immer wieder herunter. Der Schmerz breitete sich über seinen ganzen Körper aus und brachte ihn zu Fall.
Jetzt rollte die Hauptwoge des Unwetters heran. Nur noch wenige Schritte trennten ihn von den Felsen. Die Hagelkörner zerschlugen alles, was nicht von der Hand des Erdgottes erschaffen worden war. Auch vor einem Oger würden sie nicht Halt machen. Ein letztes Mal raffte sich Rator auf. Mit einem Sprung hechtete er auf die Felsen zu, in der Hoffnung, hinter ihnen zumindest ein wenig Schutz zu finden.
Wie durch einen Zauber tauchte er in eine andere Welt ein. Rator krachte mit dem Rücken voran durch eine dünne Wand aus Holz und Lehm. Sein Sturz endete am Fuße einer grob aus dem Fels geschlagenen Steintreppe. Mühsam rappelte er sich auf und schaute sich um.
Er stand in einer Höhle, die unterhalb der Felsen lag, hinter denen er Schutz gesucht hatte. Vier Stufen führten hinauf ins Freie. Immer noch donnerten die Hagelkörner vom Himmel herab. Rator bückte sich nach den Trümmern zu seinen Füßen. Jemand hatte breite Stücke Holzrinde mit Lehm beschmiert, damit sie aussahen wie Fels, und diese dann vor den Eingang geschichtet. Eigentlich eine gute Tarnung, wenn sich nicht gerade jemand dagegenwarf.
Rator blickte sich weiter um. Die Höhle war groß genug, um eine ganze Bärenfamilie zu beherbergen, und zu hoch, als dass Rator mit ausgestreckten Armen die Decke hätte erreichen können. Was sie jedoch entschieden von einer Bärenhöhle unterschied, waren der Tisch, der Stuhl und die Feuerstelle. Spinnweben hatten sich überall breitgemacht, und eine Staubschicht bedeckte die Einrichtungsgegenstände. Hier war schon lange
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