Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition)
ewigen Morast versinkt.«
Die schwere Last hinterließ tiefe Furchen auf dem sandigen Weg. Mit jedem Schritt sammelte sich mehr Erde vor der Statue an und erschwerte das Vorankommen. Mit vereinten Kräften gelang es Pferden und Menschen endlich, ihr Ziel zu erreichen. Tarburs Abbild rollte in den schmalen Bachlauf und versank zur Hälfte im Schlamm. Wasser staute sich davor auf und spülte an den Seiten vorbei. Schnell war von dem Wahrzeichen nichts mehr zu sehen, nur noch eine Woge im Fluss kündete von dem, was darunterlag.
Eines der Pferde riss sich los und machte einen weiten Sprung auf die andere Uferseite. Cindiel meinte gesehen zu haben, wie Hagrim dem Tier einen Klaps auf das Hinterteil gab. Sie fand es wenig erstaunlich, dass dies so beiläufig und fast unbemerkt geschehen war, Hagrim hatte dergleichen ein Leben lang an jungen Schankmägden geübt.
»Schnell, Junge, fang deinen Gaul wieder ein. Der Stallmeister wird wenig Verständnis haben, wenn du ihm erzählst, das Pferd sei mit einem Oger aus der Stadt gewiesen worden.«
Cindiel hatte begriffen, was Hagrim vorhatte. Das Pferd trabte in aller Seelenruhe am anderen Flussufer entlang auf der Suche nach einer Stelle mit wohlschmeckenden Kräutern. Sie selbst folgte dem Flusslauf bis zur hundert Schritt entfernten kleinen Holzbrücke, dem Ziegenstieg, wie ihn die Bewohner nannten. Ihre Großmutter hatte ihr als kleines Kind immer erzählt, dass unter der Brücke ein Troll hauste, der jedem, der darüber wollte, ein Rätsel stellte oder eine Ziege verlangte. Sie hatte nie einen Troll gesehen, aber immer noch fiel ihr Blick zwischen die Freiräume der Bohlen und suchte nach einem gelben Augenpaar.
»Warte, ich helfe dir«, hörte sie Hagrims Stimme in ihrem Rücken.
Das Pferd war längst außer Sicht, aber Cindiel lief, bis ihr der Atem ausblieb. Auch von den Menschen am Fluss war nichts mehr zu sehen oder zu hören. Nur der keuchende Atem Hagrims hinter ihr offenbarte, dass sie nicht allein war.
»Wenn das kein perfekter Plan war«, stöhnte Hagrim. »Besser hätte es nicht laufen können.«
Cindiel hatte angehalten und drehte sich nun um. »Apropos laufen, warum rennst du mir eigentlich hinterher?«
»Du glaubst doch nicht, dass du ohne mich abhauen kannst, oder? Ich hatte keine gute Verkleidung. Irgendwann werden sie herausfinden, dass du geflüchtet bist. Nun rate mal, wen sie als Erstes verdächtigen werden. Es wird nicht lange dauern, und man wird dein Entkommen mit diesem nächtlichen Spektakel in Verbindung bringen. Ich habe Besseres zu tun, als mich für die Mittäterschaft an einem Mord zu verantworten.«
Hagrim hatte Recht mit seinem Einwand. Die Priester suchten einen Schuldigen, und wenn sie keinen fanden, würde der Nächstbeste herhalten müssen.
»Wohin gehen wir?«, fragte Hagrim gespannt.
»Wir expatriieren uns selbst. Wir besuchen den Freund eines Freundes.«
»Du weißt, was expatriiert heißt?«, fragte Hagrim erstaunt. »Sag es mir bitte«, flehte er.
8
Wolf und Meute
Die Sonne haderte noch mit sich, die Nacht endgültig abzulösen. Dennoch war es bereits so hell wie an einem trüben Tag in Nelbor, dem Land, das Rator kannte und in dem er aufgewachsen war. Es würde noch ungefähr eine Stunde dauern, bis der Sonnenaufgang sich als roter Nebelschleier im Osten zeigte, doch es galt, keine Zeit mehr zu verlieren.
Rator hatte seine Beine nur mit einem losen Fell bedeckt und Schnee darübergeschaufelt. Eigentlich hatte die luftgetrocknete Haut nicht wirklich viel mit einem Fell gemein. Die groben, kurzen Borsten wärmten nicht, außerdem verströmte die Haut einen unangenehmen Geruch. Und zu guter Letzt besaß sie lediglich die Größe eines kleinen Hundes.
Mogda hatte ihm erzählt, dass die Menschen weit im Norden sich Häuser aus Schnee bauten. Er meinte, der Schnee würde sie wärmen. Rator hatte von Anfang an daran gezweifelt, dass das weiße Pulver aus den Wolken für irgendetwas gut war außer für kalte Füßen. Seine Beine fühlten sich taub an, und in seinen Fingern spürte er einen stechenden Schmerz. Doch all das nahm er gern in Kauf, denn es würde ihm ein warmes, wohliges Gefühl geben, wenn er Mogda das nächste Mal traf und ihm offenbaren konnte, wie falsch dieser mit seinem Bücherwissen lag.
Rator erinnerte sich kaum noch daran, wie lange es her war, dass er das letzte Mal so gefroren hatte. In Nelbor wurde es selten so kalt, und selbst wenn es einmal doch dazu kam, dann reichte es, einen kleinen Unterschlupf
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