Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition)
es jetzt, die Oger zu warnen. Cindiel bezweifelte, dass die Priester tatsächlich ein Heer würden aufstellen können, das mutig und erfahren genug war, gegen die Kreaturen Tabals in den Kampf zu ziehen, doch das hieß nicht, dass sie es nicht doch schaffen könnten. Sie würde dafür sorgen, dass die Priester und ihr Heer der Verblendeten nicht über jeden Oger herfielen, den sie fanden, und ihn töteten - auch wenn das Krieg bedeutete.
Cindiel zog an einer bronzenen Kette um ihren Hals und holte einen goldenen Anhänger in Form eines Drudenfußes hervor. Sie zog die Kette über den Kopf und hielt sie Bocco Talis hin.
»Was soll das sein?«, krächzte Bocco.
»Deine Bezahlung«, sagte Cindiel empört.
»Du glaubst, du kannst mich mit diesem albernen Schmuckstück abspeisen«, keifte die alte Hexe. »Ein bisschen Metall, etwas Kunstfertigkeit und ein paar sentimentale Erinnerungen. So etwas bekomme ich bei jedem fahrenden Händler, und die passende Geschichte dazu. Was mir als Lohn zusteht, bestimme immer noch ich selbst.«
»Ich besitze sonst nichts«, erklärte Cindiel.
»Doch, Kindchen, du hast etwas, das viel wertvoller ist als all die Geschmeide der Welt. Ich will deinen Hass, deine Liebe, den Kummer und Schmerz. Ich will jedes Gefühl aus dir heraussaugen und mich daran erfrischen.«
Cindiel dachte an Finnegan, den sie ohne eine Nachricht zurückgelassen hatte. An ihre Liebe zu ihm und den Kummer über ihre Kinderlosigkeit. Sie dachte an ihre Großmutter und die Trauer um deren Tod sowie die Freundschaft zu Mogda, den Hass auf die Priester und den Schmerz über ihren bevorstehenden Verrat. Waren das die weltlichen Kleinigkeiten, von denen in den Unterlagen ihrer Großmutter berichtet wurde?
Sie wollte weiter zurückweichen, doch schon nach wenigen Schritten stand sie mit dem Rücken an der Wand. Sie warf Bocco das Amulett hin und schrie: »Du bist keine Hexe mehr, Bocco Talis, der Fluch hat einen Dämon aus dir gemacht. Nimm das Amulett als Bezahlung oder verrotte in diesem Keller.« Mit einem Satz sprang Cindiel auf die Treppe und wollte flüchten, doch noch bevor sie die ersten Schritte machte, schlug die hölzerne Luke über ihr zu.
»Lass uns gehen, oder du wirst wieder brennen«, drohte Cindiel der Alten.
»Zu spät, Kindchen«, lachte Bocco. Du und der alte Mann, ihr könnt gerne meinen Keller verlassen, aber nicht in eure, sondern in meine Welt. Was ihr dort oben findet, habt ihr in euren schlimmsten Albträumen noch nicht gesehen.«
»Wohin hast du uns gebracht, altes Weib?«, stöhnte Cindiel.
»Wenn das hier unten meine Heimat ist, dann ist dort oben mein Folterkeller«, erklärte Bocco.
Cindiel standen Tränen in den Augen. Sie wusste, dass Bocco nicht bluffte. Das hatte die jahrhundertealte Hexe nicht nötig. Ihre Macht auf Erden war beängstigend, aber hier war sie grenzenlos.
»Wenn du bekommst, was du willst, lässt du uns dann wieder zurück in unsere Welt?«
»Nimm mich«, sagte Hagrim plötzlich mit flüsternder, fast erstickter Stimme. »Sobald die Götter ein Lebenszeichen von sich gegeben haben, werde ich dein sein.«
Bocco Talis fuhr herum und kroch auf den alten Geschichtenerzähler zu. »Nein, nicht!«, schrie Cindiel.
»Abgemacht«, krächzte Bocco mit einem dämonischen Grinsen.
Im gleichen Moment schlug die Luke zum Kellergewölbe wieder auf. Cindiel wollte auf Bocco losgehen und Hagrim aus ihren Fängen befreien, doch die Alte war vorbereitet. Wie aus dem Nichts bildete sich ein Strudel aus Nebel um Cindiel und hüllte sie ein. Gefangen in einer Windhose, wurde sie von den Füßen gehoben und schlug heftig mit dem Kopf gegen einen Holzbalken.
Als Cindiel wieder zu sich kam, lag sie am Boden, und Hagrim hockte über ihr. Er wischte ihr mit seinem Hemdsärmel den Schmutz aus dem Gesicht und lächelte traurig. »Was hast du getan, du alter Narr?«, schluchzte sie.
»Ich habe mein bereits gelebtes Leben verkauft und dir deines geschenkt. Das war der beste Handel, den ich je gemacht habe. Wenn ich genau darüber nachdenke, hätte sie ruhig noch eine Flasche von dem Cyrinischen Wein drauflegen können.« Cindiel sah, wie eine Träne seine Wange herunterlief.
11
Weggefährten
Auch Rator brauchte seinen Schlaf, was ohnehin schon durch die Kälte, den Wind und die fehlende Unterschlupfmöglichkeit kein sonderliches Vergnügen war. Richtig schwierig und kaum noch erholsam wurde es aber, wenn man zusätzlich einen Gefangenen bei sich hatte, der nur darauf wartete, dass
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