Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition)
Rator musste sich wieder einmal eingestehen, dass Mogda ihm die Wahrheit erzählt hatte. Nach wenigen Minuten spürte er, wie das Innere der Höhle sich aufwärmte und die Kälte aus seinen Gliedern wich.
»Wir können auch ein Feuer machen«, sagte Gelp. »Der Schnee wird nicht schmelzen.«
»Du sammeln Holz«, befahl Rator.
»Wie wäre es, wenn du mir dafür meine Sachen wiedergibst?«
»Du suchen schnell, dann nicht frieren.«
Störrisch riss Gelp den Umhang beiseite und krabbelte hinaus. Rator beobachtete ihn einige Zeit dabei, wie er die wenigen verstreuten Zweige, die der Hagelsturm abgerissen hatte, zusammensuchte. Eine Flucht des Jungen würde ohne dessen Umhang seinen sicheren Tod bedeuten, deshalb machte sich der Kriegsoger wenig Sorgen, auch als Gelp aus seinem Sichtfeld verschwand. Die plötzliche Wärme und die vorangegangene Arbeit legten eine bleierne Müdigkeit über Rator. Dem Kriegsoger fielen für einen Moment die Lider zu.
Ein stechender Schmerz riss ihn aus dem Halbschlaf. Er spürte, wie eine Klinge beim Herausziehen an seiner Rippe entlangschabte. Der Angreifer stach noch zweimal schnell hintereinander zu, bevor Rator wieder einen klaren Gedanken fassen konnte. Er griff nach der Axt an seiner Seite - doch seine Hand fasste ins Leere. Sein Angreifer bohrte ihm den Dolch erneut in den Rücken. Rator schlug mit seiner Faust nach hinten und traf. Die Wucht des Hiebes ließ seinen Gegner zurücktaumeln. Rator nutzte die Zeit und rollte sich auf die Seite.
Schnell zog Rator die Beine an und trat mit voller Wucht gegen die Schneewand, die dem Oger nichts entgegenzusetzen hatte. Seine Hände packten einen Schneeblock und schleuderten ihn blindlings davon. Eine Rolle vorwärts brachte ihn heraus aus der Schneehöhle und wieder auf die Beine. Sein Angreifer hatte sich noch nicht wieder aufgerappelt. Es war Gelp, der die Unachtsamkeit des Ogers genutzt und ihn angegriffen hatte. Der Junge schien allein und ohne Verstärkung zu sein. Als einzige Waffe hielt er seinen Dolch aus der Schneehöhle in der Hand; die Axt des Ogers war ihm mit Sicherheit zu schwer und unhandlich gewesen.
Gelp versuchte, wieder aufzustehen, doch sein linkes Bein sackte immer wieder weg. Sein Knie schien verletzt, und die Kälte hatte ihn so gut wie gelähmt. In Gelps Augen sah der Oger, dass der Junge wusste, dass sein Kampf verloren war. Gelp ließ die Klinge aus der Hand gleiten und fiel rückwärts in den Schnee.
Es wäre ein Leichtes für Rator gewesen, ihn zu töten, doch er brauchte den Jungen noch. Er fühlte, wie sein Hemd sich mit Blut vollsog und die warme klebrige Flüssigkeit sein Bein hinabrann, während sie langsam erkaltete. Suchend schaute er sich nach seiner Axt um und fand sie einige Schritt entfernt im Schnee liegen. Unter Schmerzen humpelte er zu ihr hin, las sie auf und stützte sich auf den Stiel. Dann hinkte er zu Gelp hinüber. Neben dem lag der blutige Dolch.
Vor Jahren war ihm schon einmal jemand mit einem Dolch entgegengetreten und hätte ihn beinahe getötet. Ursadan, einer der Hauptmänner der Orks, hatte sich vorgenommen gehabt, ihn für seinen Ungehorsam zu bestrafen. Er trieb Rator einen Dolch in den Oberschenkel. Die Klinge, von der Ursadan behauptete, sie sei eines von Tabals Artefakten, war mit Gift oder einem Zauber belegt worden und hatte ihn gelähmt. Allein Cindiel, der jungen Hexe, hatte er es zu verdanken, dass er noch am Leben war. Sie konnte die Lähmung aufheben und den Dolch als falsches Artefakt entlarven. Ursadan hatte seine gerechte Strafe erhalten, kurz vor dem Aufstand der Oger in der roten Wüste.
Dieses Mal war es kein Orkhauptmann gewesen, sondern ein Kind, das versucht hatte, ihn zu töten. Wenn das so weiterging, musste er sich demnächst noch vor Goblins in Acht nehmen, wenn sie mit ihren winzigen Forken und Messern das Essen zubereiteten. Doch Rator konnte die Beweggründe des Jungen auch ein wenig verstehen, und deshalb sollte seine Lektion nicht ganz so hart ausfallen wie damals Ursadans.
Er hob den Dolch, an dem sein eigenes Blut klebte, auf und kniete sich über den am Boden liegenden Gelp. Mit der Spitze des Dolches tippte er gegen das Knie des Menschen. Gelp krümmte sich und schrie vor Schmerzen.
»Dolch gut für schnitzen. Dolch gut für häuten Wild. Dolch nicht gut für töten Oger«, brüllte Rator ihn an. »Klinge zu kurz. Oger nie tot. Oger nur böse.«
Rator packte Gelp am Arm und zog ihn hinter sich her. Er legte den Menschen wie ein Stück
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