Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition)

Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition)

Titel: Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Russbült
Vom Netzwerk:
wenn man dann noch mit dem mahnenden Finger drohte, wäre alles gesagt, was es zu sagen gab. Und falls all das als Zurechtweisung nicht reichte, bekam man eben etwas an die Ohren. Ich glaube, später lief es dann immer gleich ab. Sie sagte einfach: ›Denk an Bocco Talis‹, und knallte mir gleich eine. Behalten habe ich nur so viel: Bocco Talis war eine Hexe. Man hat sie irgendwann auf einem Scheiterhaufen verbrannt, und seitdem spukt sie als Geist herum und sammelt die Seelen von Verbrechern. Hört sich für mich an wie ein Kinderschreck.«
    Hagrim konnte nicht erkennen, ob Cindiel ihm überhaupt zugehört hatte. Sie war eifrig damit beschäftigt, ihre gezeichneten Linien im Boden nachzuziehen, und murmelte ihre unverständlichen Zauberformeln.
    »Gib mir deinen Dolch«, forderte sie nach einer Weile. »Wir müssen noch eine Stunde warten bis zum Sonnenuntergang.«
    »Wir sollen hier an diesem verfluchten Ort herumstehen und auf die Nacht warten? Und als wenn das noch nicht genug wäre, soll ich dir auch noch meinen Dolch geben?«, rief Hagrim empört.
    »Hast du Angst vor Kindermärchen? Gib ihn mir einfach.«
 
    Der Sonnenuntergang kam schneller, als Hagrim lieb war. Er befürchtete, dass an der Geschichte von Bocco vielleicht doch mehr dran sein könnte, als er wusste. Cindiels Vorbereitungen für das Ritual waren sicherlich nicht nur dazu gedacht, ihm Angst zu machen. Sie hatte ein Rechteck von zwei mal drei Fuß auf den Boden gezeichnet und dorthinein einige Runen. Konzentriert starrte sie auf den Lauf der Sonne und wie sie langsam hinter den Bergen verschwand. Cindiel hob Hagrims Dolch und rammte ihn in das gezeichnete Viereck. Doch anstatt dass die Klinge lautlos im Erdreich verschwand, drang sie nur wenige Zoll ein und ließ ein dumpfes Pochen erklingen. Cindiel wich erschrocken zurück und erhob sich.
    »Was ist?«, fragte Hagrim, da er keinen blassen Schimmer vom Ablauf des Rituals hatte. »Läuft irgendetwas nicht, wie es sollte?«
    »Doch, doch«, sagte Cindiel mit erstickter Stimme. »Es ist nur so - ich habe den Zauber noch nie benutzt und wundere mich, dass er auf Anhieb funktioniert hat.«
    Sie bückte sich und umfasste den Messergriff. Mit einem Ruck zog sie daran und hob ihn mitsamt einer hölzernen Klappe in Form und Größe des auf den Boden gezeichneten Vierecks hoch. Darunter lag der Eingang zu einem Gewölbe, das sich in Dunkelheit verlor. Ungläubig starrte Hagrim der jungen Hexe über die Schulter.
    »Bitte sag mir, dass der Keller schon vorher da war«, flüsterte er ihr zu.
    »Du bleibst hier«, sagte Cindiel.
    »Da kennst du den alten Geschichtenerzähler aber schlecht, Prinzessin. Du glaubst doch wohl nicht, dass ich mir so etwas entgehen lasse. Außerdem werde ich nicht hier draußen, lediglich bewaffnet mit meiner guten Laune, darauf warten, dass ein Troll vorbeikommt und mich als Abendessen verspeist. Auf keinen Fall! Da begleite ich dich lieber ins Reich der Kindermärchen.«
    Diesmal hatte Hagrim Recht. Sich zu trennen war in keinem Fall gut. Cindiel wusste nicht, was sie erwartete, und der alte Geschichtenerzähler war auch nicht mehr in der Verfassung, sich irgendwelcher Angriffe zu erwehren. Wenn sie zusammenblieben, konnten sie sich zumindest gegenseitig helfen. Doch um das sicherzustellen, gab es einige Verhaltensregeln, die Hagrim noch lernen musste.
    »Wenn du mitkommen willst, dann halte dich an das, was ich dir jetzt sage«, ermahnte sie Hagrim. »Du fasst in dem Keller nichts an. Du stellst dich hinter mich. Du beantwortest keine Fragen und du stellst keine. Am besten hältst du den Blick immer auf den Boden gerichtet. Hast du mich verstanden?«
    »Natürlich, ich bin alt, aber nicht taub. Nicht reden, nicht gucken, nicht bewegen. Im Grunde wie bei einer Probe für meine eigene Beerdigung.«
    »Wenn du dich nicht daran hältst, wird es deine echte Beerdigung sein«, drohte Cindiel ihm.
    Cindiel nahm einen faustgroßen Stein auf, sprach eine kurze Zauberformel, und der Stein begann zu leuchten. Sie beugte sich hinunter und leuchtete den Eingang zum Gewölbe aus. Das Licht reichte nur, um die ersten steinernen Stufen zu erhellen. Dahinter lag Dunkelheit. Cindiel ließ den Stein über die Treppe in die Tiefe fallen. Stufe für Stufe sprang er hinunter und rollte dann in ungefähr fünfzehn Fuß Tiefe über ebenmäßigen Boden. Eine dünne Nebelschicht quoll um ihn herum.
    Cindiel nickte Hagrim zu und tastete sich langsam die Stufen hinunter. Der Geschichtenerzähler folgte

Weitere Kostenlose Bücher