Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition)
seine Aufmerksamkeit zu erregen, hätte einfaches Rufen auch gelangt. Wenn er jetzt den Aufstieg anging, gab es kein Zurück mehr. Denn wenn die felligen Vierbeiner eines konnten, dann war es warten. Sobald sie seine Fährte aufgenommen hatten, würden sie jaulend und kläffend vor der Felswand hocken bleiben, bis sich eine bessere Beute zeigte - und das konnte hier unten lange dauern.
Ein Jahr lang war Rator unterwegs gewesen, um diesen Ort zu finden, jetzt wollte er auch wissen, welches Geheimnis er barg. Der Oger konnte und wollte sich nicht vorstellen, dass jemand Jahrzehnte damit verbrachte, aus rohem Stein ein Schmuckstück zu meißeln, das selbst einem Titan zu groß war, und das alles nur, um einem Rudel von Wölfen zu huldigen. Es musste mehr dahinterstecken.
Mit weiten Schritten und ohne etwas zu sehen, bahnte Rator sich seinen Weg auf das Licht zu. Der Leitwolf heulte immer noch, doch das Knurren und Hecheln seiner Meute näherte sich schnell. Rator musste die Arme und Hände zur Unterstützung nehmen, um sich durch die Dunkelheit zu tasten. Immer wieder stieß er schmerzhaft gegen Felsen, die ihm den Weg versperrten. Die Wölfe waren direkt hinter ihm, als er in den Lichtkegel trat und einen Durchlass in den Felsen erblickte. Rator hechtete in eine große Höhle, fuhr aber sofort herum und streckte seinen Dolch der Dunkelheit entgegen, aus der er gekommen war.
Das tiefe Grollen der Wölfe bewies ihm, dass die Tiere keine zehn Fuß entfernt auf ihn lauerten. Vier rot glühende Augenpaare starrten ihn aus dem Dunkel heraus an. Rator wich einige Schritte zurück. Die Tiere schienen das Licht zu meiden. Mit einem halbwegs sicheren Gefühl sah er sich um.
Die Höhle war eindeutig natürlichen Ursprungs. Gigantische Felsbrocken hatten sich von den Wänden und der Decke gelöst, waren hinabgestürzt und versperrten die Sicht auf das, was hinter ihnen lag. Ganze Gesteinsschichten waren abgeplatzt und füllten den Großteil der riesigen Kaverne. Nur das Zentrum der Höhle war frei geräumt. Jemand hatte sich die Mühe gemacht, die Felsen zu zerkleinern und beiseitezuschaffen. Der frei zugängliche Bereich maß immerhin in etwa die Größe eines kleinen Dorfes und stieg in drei Plateaus an. Rator stand auf dem untersten und blickte auf das nächsthöhere. Dort schien, etwa in Augenhöhe, ein Teil des Bodens zu brennen und den Raum zu erleuchten. Auf dem Plateau dahinter hatte jemand einen Thron aus Felsen errichtet.
Immer noch wollte das Knurren der Wölfe hinter Rator nicht verstummen. Irgendetwas hielt sie davon ab, ihm zu folgen. Entweder war es das Licht oder etwas, das sich in der Höhle versteckte. Rator wollte das Verlangen der Wölfe nach Ogerfleisch nicht länger herausfordern und wagte sich weiter hinein in die Erde. Er stieg die schroffen Felsstufen hinauf zum nächsten Plateau. In der Mitte hatte sich eine Senke aufgetan, die bis zum Rand gefüllt war mit schwarzem Pech. Bläuliche Flammen tanzten darauf herum und suchten gierig nach Nahrung. Gasblasen stiegen aus dem Weiher auf und zerplatzten an der Oberfläche. Wie eine Gruppe von Schaulustigen versammelten sich die kleinen blauen Flammen um die aufsteigenden Blasen und entzündeten sie beim Zerplatzen. In hellen, bis zu drei Fuß hohen Feuersäulen, die in schwarzen Rauchfäden endeten, verbrannte das Gas.
Eine Eisenkette bahnte sich von links kommend ihren Weg zwischen den Felsen hindurch quer über das Plateau und endete straff gespannt in dem brodelnden Tümpel. Rator stellte sich vor, welches Geschöpf man hier wohl angekettet haben mochte, um es den hungrigen Wölfen zum Fraß auszuliefern. Auf jeden Fall schien es den Tod im kochenden Sumpf dem Zerfleischtwerden vorgezogen zu haben. Rator kniete sich hin und griff nach der Kette. Die einzelnen Glieder waren groß genug, dass seine Hand durch die Mitte eines Glieds hindurchpasste. Überraschend leicht ließ sich die Kette aus dem Pech ziehen. Nicht ein Tropfen der klebrigen schwarzen Flüssigkeit blieb an ihr hängen, sondern tropfte fein säuberlich zurück in den Weiher.
Mit einem Ruck wurde Rator beinahe von den Füßen gerissen. Etwas zog an der Kette, jedoch nicht an dem Ende, wo Rator es vermutet hätte. Der Kriegsoger fuhr herum und drohte mit der einzigen Waffe, die er noch besaß: dem abgewetzten Dolch aus seinem Hosenbund. Hinter dem Felsen erhob sich die Gestalt eines Riesen. Sein langes braunes Haar und der Bart waren zu Zöpfen geflochten. Seine Hautfarbe war hell, fast
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