Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition)
als diesen Weg zu nehmen. Die Stelle war wie geschaffen für einen Hinterhalt. Die Luft war diesig und die Sicht schlecht. Wenn Hagmu hier einen Angriff startete, würden sie erst gesehen werden, wenn es zu spät war. Dem Treck bliebe keine Zeit, in Stellung zu gehen oder die Wagen so zu stellen, dass sie Schutz boten. Kurz gesagt, es war ein Kinderspiel.
Kein Kinderspiel war es dagegen, achtzig Oger so an einem Berghang zu verteilen und in Stellung zu bringen, dass sie nicht auffielen wie Fackeln in der Dunkelheit. Die wenigen natürlichen Verstecke waren schnell besetzt. Um zu vermeiden, dass der Rest von Hagmus Kämpfern sich hinter ausgerissenem Grünzeug versteckte und den Hang somit in eine der bestbewachsenen Flächen Nelbors verwandelte, mussten große Felsen bewegt werden. Zum Glück gehörte Felsenschleppen für einen Oger zum täglichen Leben und war kaum schwieriger als Büsche ausreißen. Die Vorbereitungen dauerten somit nur kurz an, und es blieb mehr Zeit zum Planen.
Hagmu saß, an einen Felsen gelehnt, in erster Reihe. Er hatte sich ein Tau um den Gürtel gebunden und das andere Ende in Form einer Schlinge um Friggets Hals gelegt. Der Goblin nahm es gelassen hin und tat das, was jeder seines Volkes tat, wenn er in so einer Situation steckte: Er leugnete, beschönigte und verdrehte die Tatsachen. Er redete sich ein, das Seil um seinen Hals sei ein Zeichen des Bündnisses, das er und Hagmu hatten. Er war einfach zu wichtig, um von der Seite des Kriegsogers zu weichen. Seine Ratschläge und sein Wissen waren zu kostbar, um sie frei umherlaufen zu lassen, und nur deswegen schnürte der Strick ihm fast die Luft ab.
»Sind das alle von deinen Leuten?«, tuschelte Frigget, nicht ganz ohne Hintergedanken. Es wäre verhängnisvoll, wenn er als Herrscher der Zwergenesse zurückkehrte, um Hab und Gut der Oger zu durchwühlen, und noch zwei oder drei der Kolosse dort vorfand und ihnen erklären musste, warum er der einzige Überlebende war. Er konnte sich dieses kurze und wohl auch endgültige Gespräch lebhaft vorstellen, auch wenn seine eigenen Textstellen etwas schwach ausfielen.
Hagmus Brummen interpretierte er als Zustimmung, obwohl ihm eine richtige Antwort lieber gewesen wäre.
»Du hast dir jeden geholt, den du kriegen konntest, stimmt's?«, hakte Frigget nach. »Selbst der Stumme und die Frauen dürfen dich begleiten. Es sind schwere Zeiten, selbst für Oger. Hab ich Recht?«
Natürlich hatte der Goblin Recht, jedenfalls zum Teil, doch das hieß nicht, dass man es auch ausposaunen durfte. Es waren schwere Zeiten, aber Hagmu hatte beileibe nicht jeden mitgenommen. Er hatte seine Auswahl wohl überlegt, auch wenn sich die Prämissen im Laufe der Jahre geändert hatten. Es galt nicht mehr, Städte zu belagern, Katapulte zu bestücken oder auf dem Schlachtfeld eine Bresche in die Gegner zu treiben. Ohne den Krieg und ohne Feldherrn, die sie anführten, ging es nur darum, das tägliche Leben zu bestreiten und genügend Vorräte für den Winter zu horten.
Hagmu zog Frigget an dem Seil in die Höhe. Die Schlinge zog sich enger um den Hals des Goblins, und umso mehr er zappelte, desto weniger Luft bekam er.
»Du nicht wissen. Du nicht sprechen, Aasfresser«, fauchte ihn der Oger an und ließ ihn dann zwischen die Steine fallen.
Frigget zerrte und riss keuchend an dem Seil um seinen Hals. Hagmu beachtete ihn mit keinem Blick. Für ihn war der Goblin nur ein Spitzel, der durch Zufall eine wertvolle Information aufgeschnappt hatte. Danach war er wertlos.
Der kalte Stein in seiner Augenhöhle erinnerte Hagmu fortwährend daran, was man ihm angetan hatte. Die Habgier der Hüttenbauer hatte ihn zu einem Krüppel gemacht. Mit nur einem Auge war er im Kampf unterlegen. Sein Nebenmann hätte sich nicht darauf verlassen können, dass er ihm Deckung gab. Die Gemeinschaft der Kriegsoger hätte ihn zwar geduldet, doch niemals hätten sie ihn als einen der ihren akzeptiert.
Hagmu hatte im Laufe der letzten zwei Jahre jene Oger um sich versammelt, die ihm als Freunde geblieben und die es wert gewesen waren, mit ihm einen Clan zu gründen. Hier war er kein Ausgestoßener, sondern ihr Anführer. Er tippte mit dem Finger gegen den dunklen Stein, der dort saß, wo früher sein Auge gewesen war. Der Schmerz über den Verlust hielt immer noch an, doch das Gefühl, am Leben zu sein, wog schwerer.
Hagmu blickte den Berghang hinauf. Er wusste, wo jeder einzelne von seinen Leuten sich verschanzt hatte. Eine gute Organisation
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