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Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition)

Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition)

Titel: Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Russbült
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finden und eine kurze Rast einlegen zu können, spornte Rator zusätzlich an. Er musste es schaffen, den Wald zu erreichen, bevor die Nacht hereinbrach und die letzten wärmenden Strahlen der Sonne auch noch vergingen.
    Die tatsächliche Wegstrecke zu den nächsten Waldgebieten am Rande des Gebirges stellte sich entgegen Rators Schätzung als deutlich kürzer heraus. Dies hätte eigentlich eine glückliche Fügung sein müssen, doch leider erwiesen sich Wald und Gebirge auch nicht als das, als was sie erschienen. Die hohen Nadelbäume entpuppten sich als niedriges Gestrüpp, das Rator kaum bis zur Brust reichte, und das Gebirge war in Wirklichkeit ein zwanzig Fuß hoher Wall aus Schnee, Eis und Geröll.
    Als Oger hatte man ohnehin schon ständig das Gefühl, in einer Welt zu leben, die zu klein geraten war. Alles, was man von Hüttenbauern, Orks oder sonst wem ergattern konnte, war zu klein, um es wirklich gebrauchen zu können. Waffen sahen aus wie Spielzeuge, Karren und Kutschen brachen unter dem Gewicht eines Ogers zusammen, und nützliche Werkzeuge waren nicht mehr als Zahnstocher in deren klobigen Händen. Rator bahnte sich seinen Weg durch den Miniaturwald. Wütend schlug er mit den Händen durch die schneebedeckten Wipfel, als ihm bewusst wurde, dass er mit gesenktem Blick nach etwas suchte, das wie ein Reh aussehen sollte, aber nicht größer sein konnte als ein Hase. Dieses Land war wahrlich nicht für Oger gemacht. Alles schien verkehrt zu sein. Kinder waren Kämpfer, Riesen lebten in Höhlen, und über Berge und Wälder konnte man einfach hinwegspringen.
    Rator konnte nicht mehr an sich halten. Er riss die Axt vom Gürtel und schlug wild um sich. Kreisend kappte er die Büsche um sich herum, bis er auf einer mit Tannengrün belegten Lichtung stand. Wie im Rausch schlug er auf das Gehölz ein, doch sein Zorn wurde nur noch größer, je mehr sein Blut in Wallung geriet. Mit einem ohrenbetäubenden Gebrüll schleuderte er seine Axt über die zu klein geratenen Berge.
    Klinge und Stiel schraubten sich kreisend in die Höhe und verschwanden hinter dem Gipfel. Doch zu Rators Verwunderung erklang weder ein dumpfer Aufprall noch - was auch nicht wirklich zu erwarten gewesen war - ein röchelnder Aufschrei.
    Mühsam erklomm Rator den Wall aus Schutt und Eis. Seine Haut war von der Kälte ganz rissig geworden, und seine Hände bluteten. Rator musste sich zwingen, ruhig zu bleiben, um nicht vollends verrückt zu werden. Als er den Gipfel erklommen hatte, lauerte bereits die nächste Überraschung auf ihn: Er hatte den Spalt gefunden, der ihn zu seinem Gott bringen sollte. Was ihn etwas missmutig stimmte, war die Tatsache, dass seine Axt scheinbar bereits dort, bei Tabal, war.
    Rator stampfte mehrmals fest auf. Der Untergrund schien fest zu sein. Er beugte sich vor und sah in den Spalt. Irgendwo in zweihundert Fuß Tiefe verloren sich die Wände in Dunkelheit. Dort unten lag seine Waffe sicher - auf jeden Fall sicher vor seinem Zugriff.
    Rator hatte sich die Heimat eines Gottes anders vorgestellt. Etwas enttäuscht blickte er den Spalt entlang. Ein Anfang und ein Ende waren nicht zu erkennen, und zur anderen Seite waren es bestimmt hundert Fuß. Nach Norden wurde der Spalt breiter. Der Krieger hatte ihm erzählt, er solle bis zu der Stelle gehen, an welcher der Spalt am breitesten war. Noch einmal blickte Rator hinunter, um abzuschätzen, ob sich ein Abstieg lohnte. Er wäre geschützt vor der Witterung und würde seine Waffe wiedererlangen, andererseits aber konnte er nicht wissen, wie tief das Loch in der Erde war, und die eisigen Wände machten das Klettern sicherlich nicht leichter. Er würde dem Spalt nach Norden folgen bis zur breitesten Stelle, dort würde er eine neue Entscheidung treffen.
    Rator wollte sich gerade wieder auf den Weg machen, als kurz unter ihm etwas gegen die Felswand schlug. Er kniete sich hin und beugte sich mit dem Oberkörper über den Rand. Es war nichts zu sehen außer Eis und Fels. Plötzlich prallte wieder etwas kurz unter ihm gegen die Wand. Ein paar Funken blitzten auf, und ein kurzes Stück Holz trudelte in die Tiefe. Es war ein Bolzen, der Bolzen einer Armbrust.
    Rator riss den Kopf hoch und suchte auf der anderen Seite der Schlucht nach dem Schützen. Erst jetzt erkannte er die lange Reihe von Kriegern, die auf der anderen Seite in einer halben Meile Entfernung an ihm vorüberzog. Es waren viele hundert Krieger, die alle hintereinander herliefen. Wie eine ewig lange Karawane zogen

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