Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition)
sie an ihm vorbei. Rators Augen tränten von der Kälte, und das Weiß der Landschaft schmerzte allein vom Hinsehen. Er wischte sich die Tränen ab und kniff die Augen zusammen. Es waren menschliche Krieger, in Felle gekleidet, und noch etwas anderes.
Zuerst dachte Rator, die flimmernde Luft spiele ihm einen Streich, doch dann konnte er sie genau erkennen. Es handelte sich um barbarisch aussehende Krieger mit langen weißen Haaren und Bärten. Sie zogen eine Art von Gefängniswagen hinter sich her - und sie waren groß, dreimal so groß wie die Menschen. Drei von diesen Hünen konnte Rator ausmachen, und sie schienen keine Schwierigkeiten zu haben, die schweren Wagen in dem Schnee hinter sich herzuziehen. Sofort fiel Rator die Höhle ein, die er durch Zufall entdeckt hatte. So ein Wesen musste dort gewohnt haben. Die weißen Riesen waren noch größer als Höhlentrolle und sicherlich auch bessere Kämpfer.
Erneut schlug ein Bolzen wenige Schritt neben Rator in die gefrorene Erde ein. Die fremde Armee hatte es nicht wirklich auf ihn abgesehen. Sie waren zu weit entfernt, um ihn mit den Bolzen wirklich verletzen zu können. Das wussten sie auch. Sie machten sich nur einen Spaß daraus, ihre Geschosse auf den Oger abzufeuern. Eine fragwürdige Belustigung für Menschen, genauso fragwürdig und seltsam wie dieses ganze Land.
Rator beobachtete den Treck aus der Deckung des Walls heraus noch einige Zeit lang. Sie schienen von einem Scharmützel zurückzukommen. Weit hinter ihnen zogen schwarze Rauchfahnen - vermutlich von brennenden Häusern - gen Himmel, und vor ihnen kräuselte sich der dünne weiße Qualm von Lagerfeuern.
Rator hatte alles gesehen, was er sehen wollte. Das Heer war nah und durch die Kluft doch ewig weit entfernt. Er musste sich keine Sorgen machen ... und sie sich auch nicht. Er stieg vom Wall herab und folgte der Schlucht in nördlicher Richtung, dieselbe Richtung, in der die fremden Krieger unterwegs waren. Mehrere Male kletterte Rator wieder empor und versicherte sich, dass er die breiteste Stelle noch nicht erreicht hatte. Außerdem wollte er sehen, wohin das fremde Heer zog. Immer noch liefern die Krieger fast parallel zu ihm.
Nach einer knappen Stunde erreichte er den Punkt, von dem der junge Krieger gesagt hatte, dass Rator ihn erkennen würde, wenn er ihn sah. Aus der Erde erhob sich eine steinerne Kette, deren einzelne Glieder so groß waren wie Rator selbst. Sie verlief über den Wall hinweg und verschwand in der Schlucht. Wieder einmal zweifelte Rator an seinem Verstand. Erst als er die Hand auf eines der Glieder legte, war er überzeugt, dass die Kette wirklich da war. Sie wirkte wie eine überdimensionale Ankerkette, und er fragte sich, wozu sie wohl gut war. Um das herauszufinden, musste er ohne Frage in die Schlucht hinabsteigen. Wenn es stimmte, was der junge Krieger ihm gesagt hatte, würde er dort unten Tabal finden. Rator war schon zu lange auf der Suche nach seinem Gott, um jetzt noch Zeit zu verschwenden.
Rators Befürchtung, dass die steinernen Kettenglieder vereist und rutschig sein würden, bewahrheitete sich zum Glück nicht. Zu seinem Erstaunen war der Stein äußerst griffig und die Kettenglieder für die Größe eines Ogers optimal. Der Abstieg ging schnell voran. Mit beiden Armen umklammerte er einen Ring, während seine Füße in den darunterliegenden traten.
Rator wunderte sich, wie die Erbauer es geschafft hatten, die einzelnen Kettenglieder ineinander zu bekommen, da jedes Glied aus einem einzigen Stück Stein gefertigt zu sein schien. Nach immer einem Dutzend Ringe, die Rator überwunden hatte, legte er eine kurze Pause ein, um zu verschnaufen. Jedes Mal versuchte er, die Tiefe der Schlucht neu auszuloten, und jedes Mal schien sie endlos zu sein.
Mit jedem Schritt, den er hinabstieg, fragte er sich, wann der Zeitpunkt gekommen wäre, umzukehren. Vielleicht war es ihm nicht bestimmt, in das Reich der Götter einzudringen. Beinahe hätte er tatsächlich kehrtgemacht und nach einem anderen Weg hinunter zu Tabal gesucht, da wurde plötzlich am Grund der Schlucht ein Feuer entzündet. Das Feuer war gar nicht so weit entfernt, und der Spalt gar nicht so tief, wie Rator befürchtet hatte. Das diesige Licht des Tages besaß einfach nicht genügend Kraft, um bis nach unten zu reichen, so wirkte die Schlucht bodenlos. In Wirklichkeit war sie kaum eine halbe Meile tief.
Rator stieg nicht ganz bis nach unten hinab. Auf dem viertletzten Kettenglied blieb er stehen und
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