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Blutiges Echo (German Edition)

Blutiges Echo (German Edition)

Titel: Blutiges Echo (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe R. Lansdale
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kleine Café neben dem Kino gegangen sind und eine Cola getrunken haben oder was weiß ich. Dann sind sie rausgegangen, um nachzusehen, ob ich nicht inzwischen angekommen bin, und ein Lastwagen – das klingt echt wie in einem schlechten Film – ein verdammter Kipplaster voller Kies, der gerade die Hauptstraße langfährt, wo er gar nichts zu suchen hat, biegt genau in diesem Moment viel zu schnell um die Kurve und stürzt um. Der Laster fällt nicht auf meine Familie. Aber der Kies. Wie Tausende kleiner Patronenkugeln.
    Als ich dort ankam, war nichts mehr von ihnen zu sehen, Kleiner. Begraben unter all diesem gottverdammten Schotter. Irgendwer sagt noch: ›Da drunter liegen eine Frau und ein Kind‹, und da wusste ich … ich wusste einfach, dass sie es waren. Mit bloßen Händen habe ich angefangen, nach ihnen zu graben. Stand oben auf diesem verdammten Haufen und hab im Kies gebuddelt wie ein blöder Hund. Von allen Seiten haben Leute mitgeholfen.«
    »Das tut mir echt leid.«
    Tad hob eine Hand. »Lass mich das ganz bis zum Ende erzählen, Kleiner. Sie waren tot. Und es war meine Schuld. Wäre ich pünktlich gewesen, wären sie längst über alle Berge gewesen, als der Laster kam. Dann wären sie jetzt gesund und munter. Es hätte einfach nur Kies auf dem Bürgersteig gelegen. Sie waren die Einzigen, die genau dort gestanden haben. Ist das zu fassen? Einfach nur am falschen Ort zur falschen Zeit. Sie standen da und haben auf mich gewartet.
    Und jetzt wird’s schnulzig. Willst du mal so einen Mist hören, wie er in miesen Filmen ständig vorkommt? John, mein Sohn, hatte eine Karte in der Hosentasche. Es war kein Vatertag, es war nicht Weihnachten, ich hatte nicht mal Geburtstag, verdammt. Aber in der Schule hat er eine Karte gebastelt. Ich habe sie immer noch. ›Der beste Dad der Welt‹, steht da drauf. Die Bullen haben sie mir später gegeben. Total dreckig und zerknittert, aber das ist mein kostbarster Besitz. Na, ist das nicht kitschig, Kleiner?
    Ab da hab ich meine innere Mitte verloren. Zuerst dachte ich, es sei der Schmerz, und ein Jahr später habe ich versucht, mich zusammenzureißen und meine Kurse wieder aufzunehmen. Die junge Frau, mit der ich mich unterhalten hatte, um sie zu beeindrucken, wollte wiederkommen, aber das konnte ich nicht. Ich konnte diese Frau nicht mehr sehen. Natürlich hatte sie gar nichts verbrochen. Ich hab was verbrochen. Hab mein Ego nicht im Griff gehabt. Das ist so ziemlich das Erste, was man beim Kampfsport lernt. Steck dein Ego in einen Sack und verpasse ihm eine anständige Tracht Prügel. Ich konnte einfach nicht, konnte ihr nicht wieder in die Augen sehen – und auch niemandem sonst, den ich kannte.
    Hab mir lauter neue Schüler gesucht. Dann wurde mein Kampfstil immer härter. Ich hab den Leuten wehgetan. Wenn sie sich gewehrt haben, habe ich ihnen noch ärger zugesetzt. Schließlich hab ich mit dem Unterricht aufgehört. Die Kohle habe ich nicht gebraucht. Meine Frau hatte Geld gehabt, und jetzt gehörte es mir. Ich war total allein. Keine Frau, kein Sohn, keine Schüler. Meine Schwiegereltern hassen mich, wie ich es verdient habe.
    Dann hab ich wieder zur Flasche gegriffen. Und hier bin ich nun, nüchtern für den Augenblick und in Gedanken beim nächsten Drink. Wenn ich dich so sehe, genauso besoffen wie ich, als ich jung war, frage ich mich – macht dir das einfach Spaß, oder steckt was anderes dahinter? Ich vermute, es ist was anderes.«
    Harry wusste nicht, was er sagen sollte, also wiederholte er seine Worte von vorhin. »Es tut mir wirklich leid.«
    »Ja, mir auch. Aber was ist mit dir? Warum säufst du wie ein Loch? Was hast du für eine Geschichte?«
    »Das würdest du mir ja doch nicht glauben.«
    »Wir haben eine Abmachung.«
    »Also gut.« Und Harry erzählte ihm vom Honkytonk und der Sache mit dem alten Auto in seiner Kindheit. »Und«, fragte er schließlich, »was denkst du jetzt?«
    Tad musterte ihn und kratzte sich hinterm Ohr. »Geräusche, was?«
    »Jepp.«
    »Ganz schön abgefahren.«
    »Hältst du mich für durchgeknallt?«
    »Manche Leute behaupten, wir hätten im Laufe der Jahrtausende bestimmte Fähigkeiten verloren, seit wir aus der Ursuppe gekrochen sind. So was wie außersinnliche Wahrnehmung oder die Fähigkeit, ein läufiges Weibchen aus einem Kilometer Entfernung zu riechen, genauso wie einen Greifschwanz, eine übertriebene Vorliebe für Bananen. Vielleicht hast du ein bisschen davon wiederentdeckt. Oder vielleicht bist du auch

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