Blutiges Echo (German Edition)
kennengelernt. Und diese Frau hab ich aufrichtig geliebt, mein Freund. Ich weiß nicht, wie oft es so was gibt, diese wahre Liebe, aber wenn, dann ist es unglaublich.«
»Meine Eltern, die waren auch so.«
»Sie können sich glücklich schätzen. – Waren?«
»Dad ist an einem Herzinfarkt gestorben.«
»Tja, dann haben deine Mom und ich wohl ganz ähnliche Tragödien erlebt. Jedenfalls haben Dorothy und ich geheiratet, ich habe aufgehört zu trinken, und wir bekamen ein Kind. Einen hübschen Jungen. Dorothy hatte geerbt, und sie arbeitete als Innenausstatterin. Sie war gut. Hat richtig Kohle damit verdient. Ich hab eine Kampfsportschule betrieben, und auch wenn man mit so was kein großes Geld verdient, hatten wir ein gutes Auskommen. Ob du’s glaubst oder nicht, Kleiner, ich galt mal als einer der Besten.«
»Glaube ich sofort. Schließlich hab ich dich in Aktion gesehen, schon vergessen?«
»Das war ja nur besoffenes Rumgehampele, aber früher habe ich die Kampfkunst richtig gelebt. Nicht nur in Bezug aufs Arschversohlen. Ich hatte meine innere Mitte gefunden.«
»Deine innere Mitte?«
»Die Mitte meines Seins. Das klingt alles ziemlich metaphysisch und so, aber das ist es gar nicht. Es geht darum, den Kern dessen zu finden, was du bist, und damit zu leben, es zu akzeptieren. Die ganze Welt wirbelt um dich herum, aber du bist hochkonzentriert. Nichts bringt dich aus der Fassung. So war ich drauf. Nichts hat mich aus der Bahn geworfen. Ich dachte, nichts und niemand könnte mein Gleichgewicht stören.«
»Aber irgendwas kann das immer«, sagte Harry.
Tad nickte. »Ich habe mit relativ kleinen Kursen gearbeitet und zusätzlich ein paar Privatstunden gegeben. Für Leute, die hierherkommen wollten und bereit waren, mir zu zahlen, was ich wert war. Dann kam der Unfall. An dem Tag gab ich gerade eine Privatstunde, für eine hübsche junge Frau. Zwischen uns lief nichts, keine krummen Sachen. Abgesehen von diesem Gefühl, das jeder Mann in Gegenwart einer so tollen Frau kriegt. Es war eben einfach großartig, Zeit mit ihr zu verbringen. Nicht wie mit meiner Frau, das war eine ganz andere Kategorie. Aber dieses Mädchen zu unterrichten … – Na, jedenfalls ist eines Tages ihre Privatstunde vorbei, und sie hat noch ein paar Fragen, und ich denke mir, alles klar, bleibe ich eben noch.
Tja, das Dumme ist nur, ich sollte eigentlich direkt nach der Stunde losfahren und meine Frau und meinen Sohn abholen. Der Kleine ist gerade zehn. Es ist Samstag, und sie sind ins Kino gegangen, in irgendeinen Zeichentrickfilm, und wir haben abgemacht, dass ich sie aufsammele, sobald die Stunde vorüber ist.
Zwischen dem Ende des Films und dem Ende meines Unterrichts liegt ungefähr eine Viertelstunde. Das Auto meiner Frau ist gerade in der Werkstatt. Nicht weiter wild – fünfzehn Minuten Wartezeit, fünfzehn Minuten Fahrtzeit, also müssen sie eine halbe Stunde rumbringen.
Aber ich, ich unterhalte mich mit dieser Frau, als wollte ich sie abschleppen, aber das will ich gar nicht, verstehst du? Meine Frau ist diejenige, welche, aber ich will wissen, ob ich noch meinen Charme von früher habe. Du weißt schon, ob ich noch so auf Frauen wirke, denn ich bin inzwischen Mitte dreißig, allmählich fallen mir die Haare aus, und egal, wie hart ich trainiere oder wie gut ich in Shen Chuan bin, ich setze ein bisschen Speck an.«
Tad tätschelte sich wie zum Beweis den Bauch.
»Ich flirte also mit diesem jungen Hüpfer, und plötzlich fällt mir ein: Verdammt, ich habe Dorothy und John total vergessen! Aber weißt du was? Ich denke, na ja, noch fünf Minuten werden niemandem schaden. Weil ich diesem Mädel nämlich gerade ein paar besondere Techniken zeige, für die sie zwar noch längst nicht bereit ist, aber es macht Spaß, mich ein bisschen aufzuplustern, du weißt schon. Zu zeigen, was ich draufhabe. Und schließlich denke ich: Scheiße, ich muss los. Also breche ich auf.
Dorothy hatte hier angerufen. Das habe ich erst später gemerkt, weil wir im Dojo kein Telefon haben. Später sehe ich das Lämpchen am Telefon blinken, höre den AB ab, und es ist Dorothy. ›Schatz, ist alles in Ordnung? Wir stehen hier und warten auf dich, und langsam mache ich mir Sorgen.‹ Sorgen. Sie hat sich Sorgen gemacht. Um mich. Ich hätte bei ihr sein sollen, und sie macht sich Sorgen, dass mir was zugestoßen sein könnte. Stattdessen grabe ich diese Frau an, nur um mein Ego zu polieren.
Später erfahre ich also, dass Dorothy und unser Sohn in das
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