Blutiges Echo (German Edition)
dem Fall abgespeichert werden und ich das später noch mal abrufen könnte. All das geht mir auf dem Weg nach unten durch den Kopf, verstehst Du, und ich bin auch sauer, weil ich doch nur zu meinem Kurs wollte und irgendjemand mich aus Gedanken- und Rücksichtslosigkeit umrempelt, und dann …
Du wirst es nicht glauben, Tad, aber plötzlich denke ich über all das gar nicht mehr nach.
Denn diese Geschichten über Engel, die in Zeiten der Not erscheinen, die sind wahr, zumindest für manche Menschen.
Ein Engel schaute zu mir herunter.
Ich liege auf dem Rücken am Fuß der Treppe, die Beine fast hinterm Kopf, den Rucksack hab ich verloren und die Bücher sind rausgefallen, und meine Mitschriften flattern mir ins Gesicht, und während sie an mir vorbei zu Boden segeln, erscheint dahinter das Antlitz eines Engels.
Ein wunderschöner Engel, der, na ja … teuflisch gut aussieht. Sie hat einen wirklich hübschen Mund, mit vollen Lippen, und Du kennst ja die Theorie mancher Anthropologen – wir finden Frauen mit vollen Lippen anziehend, weil ihr Mund uns an das andere Paar Lippen da unten erinnert; und wer weiß, vielleicht stimmt das ja. Und ihre Haare sind schwarz, pechschwarz, und lang, ellenlang, und sie hat riesige Rehaugen, und sie beugt sich über mich, und sie sieht einfach verdammt sexy aus. Ich bemühe mich, ihr nicht in den Ausschnitt zu glotzen, was schwer ist, weil sie sich ganz nah über mich beugt und dabei ganz besorgt dreinschaut, und ihre Brüste stoßen aneinander wie zwei Bowlingkugeln.
»Ach, du Schreck«, sagt sie. »Alles in Ordnung?«
»Klar«, sage ich, und ich bin schlau, Tad, pass auf, ich antworte nämlich: »Die Steine haben meinen Sturz abgefangen.«
Sie grinst.
Eins sag ich Dir, sie hat die schönsten Zähne, die Du je gesehen hast. Ein funkelnagelneues Piano mit schimmerndem Elfenbein ist nichts dagegen.
Tolle Zähne.
Sie streckt die Hand aus, und ich greife danach, sie hilft mir hoch (starkes Mädchen!), ich grinse sie an, und sie sagt: »Im Ernst, geht es dir gut?«
»Klar, nichts passiert«, sage ich. »Du solltest mal sehen, wie ich ohne Fallschirm aus einem Flugzeug springe.«
Okay, das war ein bisschen dick aufgetragen. Aber nicht schlimm, sie lacht ein bisschen, und dann hilft sie mir, meine Bücher aufzuheben, meine Unterlagen wieder einzusammeln und in meinen Rucksack zu stecken.
Dann sieht sie meine Notizen.
»Du hast den alten Timpson in Psychologie«, stellt sie fest.
»Ja, stimmt«, sage ich.
»Na, dann verrat ich dir mal was: Im Unterricht erzählt er ja so einiges, aber Mitschreiben bringt dir nicht viel.«
»Das hab ich auch schon gemerkt.«
»Ja, in der Prüfung fragt er nämlich das Buch ab. Vergiss die Vorlesung. Lies das Buch von vorne bis hinten, und du hast die Klausur in der Tasche.«
»Echt?«
»Jepp.«
Jetzt schaue ich sie mir richtig an, Tad, und sie hat eine verdammt enge Jeans an, ohne dass sich Speckwülste bilden. Sie sieht aus wie ein Model. Wie ein Filmstar. Wie eine Göttin.
»Tja«, sagt sie, und sie lächelt mich die ganze Zeit breit an, »ich würde dich ja auf einen Kaffee einladen, um das mit dem Unfall wiedergutzumachen, aber ich will dich nicht von deinem Kurs abhalten.«
Und weißt Du was, Tad? Ich komme auf den Gedanken, dass sie mich irgendwie mag. Dass ich möglicherweise doch nicht so hässlich bin, sondern vielleicht sogar ganz in Ordnung. Was soll’s, denke ich mir und sage: »Ich schwänze sowieso manchmal eine Vorlesung. Vor allem wenn ich weiß, dass die Klausur sich nur auf das Buch bezieht.«
Jetzt halt Dich fest. Ich gehe mit ihr in die Cafeteria und denke gar nicht daran, dass sich irgendwo schlimme Erinnerungen oder schreckliche Ereignisse verbergen könnten, und sie spendiert mir einen Kaffee. Zwei Päckchen Sahne, keinen Zucker, sondern Süßstoff. Wir trinken unseren Kaffee genau gleich.
Schon klar, das ist eine Bagatelle. Aber es ist ein Anfang, und so langsam fügt sich eins zum anderen. Ich hab ein gutes Gefühl dabei.
Und wir unterhalten uns.
Wir haben eine Menge gemeinsam, Tad.
Das mit dem Kaffee, das war ein gutes Omen.
Wir reden, bis ich meine komplette Vorlesung verpasst habe und dann die nächste, und sie schaut auf die Uhr und quietscht kurz auf. Sie hat auch einen Kurs verpasst. Sie hätte einen in der nächsten Stunde gehabt. Also habe ich zwei geschwänzt und sie einen, und dann sagt sie: »Tja, das haben wir schön vermasselt. Warum gehen wir nicht einfach Mittag essen?«
Ich gehe
Weitere Kostenlose Bücher