Blutiges Echo (German Edition)
Vermutung.«
Harry nahm seine Speisekarte hoch. »Kommt er wieder?«
»Glaube ich nicht. Wohl kaum.«
»Habt ihr euch gestritten?«
»Ach was. Wir haben uns nur unterhalten.«
Wieder zu Hause, zog Harry sich im Dunkeln aus und setzte sich nackt aufs Sofa. Lange blieb er dort sitzen. Dann stand er langsam auf, ging zum Mülleimer, holte die Weinflasche heraus und hielt sie so vors Fenster, dass das Licht von draußen hindurchschien. Es war nicht ein Tropfen übrig. Er stellte die Flasche aufs Bücherregal und betrachtete sie eine Zeit lang, dann ließ er sie wieder in den Mülleimer fallen.
Er setzte sich zurück aufs Sofa und betrachtete den Mülleimer.
Ungefähr fünf Minuten lang saß er so da, dann stand er wieder auf, holte die Flasche aus dem Müll und roch daran. Sie roch nach Erdbeeren und einer Rückenmassage. Er steckte die Zunge oben in den Flaschenhals. Dann ließ er sie hektisch an der Außenseite der Flasche entlangwandern. Sie schmeckte ganz schwach nach Wein.
Er merkte, dass er eine Erektion hatte.
Verdammte Scheiße. Ich bin so geil auf Alkohol, dass ich einen Ständer habe.
So geht das nicht weiter.
Harry zerbrach die Flasche im Waschbecken, sammelte die Scherben heraus und warf sie wieder in den Mülleimer. Dabei schnitt er sich. Er steckte den Finger in den Mund und betrachtete sein Gesicht im Spiegel. Ohne Licht konnte er sich nicht so genau sehen, doch er sah genug, um einen Mann zu erkennen, der an seinem Finger lutschte. Alles nur wegen einer gottverdammten Weinflasche.
Er wusch sich Gesicht und Hände, zog sich eine frische Unterhose an, holte sein Kopfkissen und seine Decke aus dem Schrank, legte sich aufs Sofa und deckte sich zu.
Er dachte daran, wie der Wein in dem Marmeladenglas ausgesehen hatte und was Joey beim Trinken gemacht hatte. Wie er geschmatzt, wie der Wein auf seinen Lippen geperlt und wie er ihn sich dann aus den Mundwinkeln geleckt hatte.
Harry stand auf und nahm sich das Marmeladenglas, aus dem Joey getrunken hatte. Am Boden befand sich noch ein winziges Restchen Wein.
Das ist doch albern, sagte Harry sich. Wenn ich was trinken will, dann kann ich auch was trinken. Mensch, ein Glas, das ist gar nichts. Vielleicht gehe ich zum Schnapsladen und hole mir ein Bier. Nur ein einziges.
In dem Film Rio Bravo hatte der Säufer aufgehört, harte Sachen zu trinken, und genehmigte sich nur noch hin und wieder ein Bier. Die Lösung fand Harry gut. Ein Bier konnte er doch trinken. Es war der harte Alk, von dem er die Finger lassen musste. Ein Bier, das wäre in Ordnung. Nur eins. Ein kaltes.
Scheiße, dachte Harry. Dean Martin war Schauspieler. Der musste kein Alkoholproblem bewältigen. Er hat bloß einen Säufer gespielt. In meinem Fall, dachte Harry, ist es nicht gespielt.
Er spülte das Marmeladenglas aus, für den Fall, dass er auf die Idee käme, den letzten Rest rauszuschlürfen, und ging ins Bett. Nach einer ganzen Weile, während der er ans Trinken und an all das dachte, was ihn zum Trinken brachte – die Geräusche, die Gesichter, die er gesehen hatte, der Schmerz, den er gespürt hatte –, glitt er in den Schlaf.
Kapitel 29
Harry begibt sich also zusammen mit Tad auf die Suche nach dem Zentrum des Universums, und er hat ganz schön viel Freizeit (das Saufen hat mehr Zeit in Anspruch genommen, als ihm klar war), und in der übrigen Zeit geht er ins College, er lernt und er arbeitet; weder trinkt er, noch vermisst er Joey, stattdessen versucht er, seine verdammte innere Mitte zu finden, und dann – Überraschung! – findet er das Zentrum des Universums. Es ist ganz einfach. Es befindet sich genau vor seine Nase.
Und es heißt Talia.
Sie kann sich mit jedem Filmstar messen. Eine heiße Braut an einem kühlen Herbsttag. Ein Traumgeschöpf in der Welt der Sterblichen. Ganz in Weiß, und das Licht schmeichelt ihr. Ihr Rock ist nicht übermäßig kurz, aber er wirkt sehr knapp, weil ihre perfekten Beine so lang sind; Rüschen schmücken das weiße Oberteil, und ihre Brüste, so dunkel wie von kühlem Schatten geküsst, sind sehr üppig und zeichnen sich deutlich ab, und ihr Gesicht wird von einem Lächeln erhellt, Zähne so weiß und gerade, dass sich jeder Kieferorthopäde ehrfürchtig vor ihnen verneigen würde.
Da erst bemerkte Harry den Schwarm von Leuten, der sie umgab.
Vier Jungs, herausgeputzt wie Pfauen, Körper direkt aus dem Fitnessstudio, Klamotten vom Designer, Haare vom Stylisten – perfekt gekämmt und nicht den Gesetzen des Windes
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