Blutiges Echo (German Edition)
im schwarzen Minirock und einem Trägertop, das so eng anlag, dass man ihre Religionszugehörigkeit erkennen konnte, war ein schöner Start in den Tag; aber es richtete auch einen leuchtenden Neonpfeil darauf, dass er aussah wie ein Penner, der in einem Pappkarton hauste.
»Ich möchte, dass du ihn mal triffst, und jetzt ist es so weit. Er ist draußen auf dem Schießstand.«
»Schießstand?«
»Jetzt spielst du wieder den verdammten Papagei.«
»Ich weiß ja nicht. Den Vater eines Mädchens auf dem Schießstand zu treffen – das macht einen Mann nun mal nervös. Vor allem da wir zwei nicht bloß geplaudert haben.«
»Er ist sehr aufgeschlossen.«
»Kann ja sein, ich aber nicht. Dann kämme ich mir mal die Haare und zieh mir eine frische Unterhose an.«
»Wenn du dich beeilst. Rasieren brauchst du dich nicht.«
Harry putzte sich die Zähne, wechselte die Unterhose und kämmte sich die Haare. Dann zog er die beste Jeans an, die er besaß. Sie war nur mäßig verwaschen, und der Saum am Hosenbein war von seinen Stiefeln ausgetreten. Während er sich Socken und Turnschuhe anzog, fragte er sich, was zum Teufel Talia eigentlich an ihm fand. Warum hatte er ein solches Glück?
Er ging ein letztes Mal ins Bad und schaute in den Spiegel. »Bist du sicher, dass ich keine Zeit zum Rasieren hab?«
»Er bleibt nie lange da, und er ist so schwer zu erwischen. Ständig muss er zu irgendwelchen Besprechungen, und ans Handy geht er auch so gut wie nie.«
»Dieser Schießplatz, da wurde niemand … erschossen, oder?«
»Was?«
»Wurde da mal wer getötet? Hat es irgendwelche Unfälle gegeben?«
»Harry, manchmal bist du echt seltsam.«
Sie fuhr ihn in einem sehr neuen, sehr schönen, sehr roten Sportwagen dorthin. Das war gut. Neue Autos waren gut. Die hatten nicht so viel Gelegenheit gehabt, in Unfälle verwickelt zu werden – nicht so viel Zeit, um böse Erinnerungen in sich aufzunehmen.
Der Schießstand war eigentlich ein ganzes Feld, nicht weit außerhalb der Stadt. Um durch das Tor zu kommen, musste man einen Code eingeben.
Talia erledigte das mit dem Code, und sie fuhren hinein.
Sie parkten in der Nähe eines langen, flachen Gebäudes und gingen außen herum. Dahinter standen drei Männer mit Jagdgewehren, zusammen mit drei jüngeren Männern, die die Wurfmaschinen bedienten.
Sie gingen zu ihnen hinüber, und Harry beobachtete verstohlen, wie Talias kurzer Rock beim Gehen ihre Schenkel umspannte, wie aufrecht sie sich hielt und dabei ihre Brüste zwei Scheinwerfern gleich vorreckte.
Als sie näher kamen, bemerkte Harry, dass die jungen Männer an den Wurfmaschinen sich nach ihr umdrehten. Zwei der älteren Männer drehten sich ebenfalls um. Einer war ein etwas schwererer Typ mit einem pechschwarzen Schnurrbart und lichtem Haar, und er trug so etwas wie Outdoorklamotten mit Bügelfalten. Er sah aus wie fünfzig, aber beim Näherkommen stellte Harry fest, dass der Mann sehr viel älter war. Fünfundsechzig, vielleicht sogar an die siebzig. Er hatte sich gut gehalten. Für Reiche kein Problem. Der Mann warf ihnen einen kurzen Blick zu.
Ohne zu fragen, wusste Harry, dass er Talias Vater war.
Talia beugte sich zu ihm herüber. »Er färbt sich den Bart, weißt du.«
Die anderen verfolgten gebannt, wie Talia auf sie zukam.
Als sie vor ihm standen, fragte Mr McGuire: »Und wer ist das?«
»Harry«, sagte Talia.
»Harry, so so«, sagte der Vater.
»Hallo, Mr McGuire.« Harry streckte die Hand aus, Mr McGuire schulterte seine Flinte, hielt mit der Linken den Kolben fest und schüttelte ihm mit der Rechten die Hand.
»Freut mich. Waren die Rasierklingen alle?«
»Ähm, ich …«
»Ich liebe ihn genau so, wie er ist«, sagte Talia. »Und er ist nicht so wie wir, Daddy. Geld ist ihm nicht wichtig. Oder das Aussehen.«
»Ich weiß nicht, ob ich das so …«, setzte Harry an.
»Wir beide mögen uns ziemlich gern«, sagte Talia.
»Ach ja?«, fragte Mr McGuire.
»Sehr gern.«
»Das freut mich, mein Schatz.« McGuire wandte seine Aufmerksamkeit Harry zu und musterte ihn. »Komm uns doch mal besuchen, ja?«
Bevor Harry etwas erwidern konnte, fuhr Talia fort: »Er arbeitet in einer Buchhandlung.«
»Tatsächlich?«, sagte Mr McGuire.
»Vielleicht kommt er mit auf deine Party, Daddy.«
»Aha«, sagte Mr McGuire, verlagerte das Gewicht seines Gewehres und betrachtete die Baumwipfel, als hätte er eine fliegende Untertasse darüber hinwegsausen sehen.
»Was für eine Party?«, fragte Harry.
Weder Talia noch
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