Blutiges Echo (German Edition)
über einen Zaun spähen.
»Was ist mit deinem Kopf passiert?«, fragte Talia.
»Ich hab mich gestoßen.«
Doch Harry merkte, dass Talia sich gar nicht so sehr seine Verletzung besah, sondern eher Kayla.
»Oh«, sagte Harry. »Das ist Kayla. Sie hat früher bei mir in der Nähe gewohnt. Wir sind zusammen zur Schule gegangen. Zur Grundschule. Dann ist sie weggezogen.«
»Ach?«, sagte Talia. »Und wohl gerade wieder hergezogen, nehme ich an?«
»Vor einer Weile«, erwiderte Kayla.
»Quatscht ihr über die guten alten Zeiten?«
»Ein bisschen«, sagte Kayla. »Nichts Weltbewegendes. Nur das Übliche.«
»Echt toll, dass Harry seine Spielkameraden mal wiedersieht«, sagte Talia.
»Spielkameraden?«, echote Kayla.
»Ist doch schön, sich an seine Vergangenheit zu erinnern«, sagte Talia. »Ihr wisst schon. Sehen, was hinter einem liegt, und darüber nachdenken, wo man hinmöchte.«
Kayla kratzte sich an der Stirn. Harry fiel auf, dass sie immer noch diese langen, schlanken und starken Hände besaß, mit denen sie ihm in ihrer Jugend das Fell über die Ohren gezogen hatte.
»Oder man merkt, dass man vielleicht in eine Sackgasse geraten ist«, sagte Kayla. »Manchmal, wisst ihr, ist man auf dem richtigen Weg, und dann, ehe man es sich versieht, trifft man die falschen Entscheidungen. Und landet in einer Jauchegrube.«
Talia lächelte, aber es schien ihr Schmerzen zu bereiten. »Dann findest du also nicht«, fragte sie, »dass jemand wie zum Beispiel Harry darüber nachdenken sollte, einen Schritt weiter zu gehen? Aus den Fehlern seiner Vergangenheit zu lernen?«
»Ich glaube, man muss aufpassen, dass man sich nicht – wie sag ich das jetzt – die Zukunft verkackt.«
»Sehr umsichtig von dir.« Talia schnüffelte. »Dieses Parfüm, das riecht nett. Ziemlich heftig, aber sehr nett. Von der Resterampe?«
Bevor Kayla etwas erwidern konnte, warf Harry ein: »Kayla ist Polizistin.«
»Echt?«, fragte Talia.
Kaylas Grinsen wurde breiter. »Ja, echt.«
»Dann könntest du uns ja verhaften, wenn du wolltest«, sagte Talia.
»Ihr müsstet erst was anstellen.«
»Wie wär’s mit Beamtenbeleidigung?«
»Das würde klappen. Wenn das passiert, während wir uns hier bloß so unterhalten, könnte ich allerdings auch einfach vergessen, dass ich Polizistin bin, und dir die Scheiße aus dem Leib prügeln.«
Talia schwieg einen Moment. Schließlich sagte sie: »Mein Daddy kennt viele Bullen. Er kennt auch deinen Vorgesetzten. Den Polizeichef.«
»Ach ja?«
»O ja. Tja, hat mich sehr gefreut, dich kennenzulernen«, sagte Talia. »Ich hoffe, deine Rückkehr in unsere kleine Stadt entwickelt sich nicht zu einer Enttäuschung, und wer weiß, vielleicht kriegst du auch die Gelegenheit, jemandem – wie hast du es ausgedrückt? – die Scheiße aus dem Leib zu prügeln.«
»Tja, es findet sich immer ein Hundehaufen oder zwei, über die man drübersteigen muss, egal wo man ist. Aber ich glaube, im Großen und Ganzen werde ich klarkommen. Und wer weiß, vielleicht bekomme ich wirklich mal die Gelegenheit, jemanden zu verprügeln. Harry, war schön, dich zu sehen.«
»Ich muss unbedingt rausfinden, was das für ein Parfüm ist«, sagte Talia.
Kayla lächelte sie an, erwiderte jedoch nichts, sondern wandte sich Harry zu. »Wir reden später weiter.«
Harry, der sich vorkam, als wäre er gerade von einem Lastwagen überfahren worden, sagte: »Klar, Kayla. War echt schön, dich zu sehen.«
»Dieses Toilettenwasser, was sie da drauf hatte«, sagte Talia. »Wo zum Teufel kriegt man so was her? Süßer, das hat ja schon fast Fliegen angezogen.«
»Es war ein bisschen stark, aber ich fand’s ganz okay.«
Harry hatte gerade Mittagspause, und sie gingen vom Buchladen zu dem kleinen Fast-Food-Restaurant in der Nähe. Harry lief sehr vorsichtig, passte auf, dass er auf dem Weg blieb, den er kannte, und hoffte, dass sich nicht kürzlich etwas geändert hatte. Zum Beispiel gestern Nacht.
Autos fuhren vorbei und Harry hörte jeden Motor, jede Fehlzündung, und die Musik, die aus offenen Fenstern drang und manche Autos, deren Fenster hochgekurbelt waren, puckern ließ wie einen erigierten Penis.
Im Schnellrestaurant bestellten sie und setzten sich an einen Tisch. Talia strich vorsichtig über Harrys Beule am Kopf. »Oh, das wird nachher richtig übel aussehen. Vielleicht solltest du Eis dranhalten, damit es abschwillt.«
»Es tut ein bisschen weh.«
»Du solltest die Stelle kühlen. Es wird sicher besser, wenn du Eis
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