Blutiges Eis
ziemlich schmuddelig ist.
Er fand einen Schraubenzieher, drehte mehrere Schrauben heraus und nahm das Gitter von der Wand. Als sich die Abdeckung löste, folgte ihr ein durchsichtiges Plastikkuvert, das an einem kurzen Stück Angelschnur befestigt war. Darin befand sich ein kleinerer Umschlag. Cardinal machte ihn auf und zog ein eingerolltes Fotonegativ heraus. Er knipste die Schreibtischlampe an und hielt das Negativ gegen das Licht. Er konnte nicht mehr erkennen, als dass es ein Gruppenfoto war, von drei Männern und einer Frau. Er steckte es zu den Telefonrechnungen in seine Aktentasche.
Wenig später stand er draußen auf der Sixth Street. Er hatte das, was er sich vorgenommen hatte, wesentlich schneller erledigt als erwartet. Er überlegte, ob er Kelly anrufen sollte; er holte schon das Handy heraus und wollte die Nummer wählen. Doch er hatte seiner Tochter letztes Jahr mit seiner Gewissenskrise zu sehr wehgetan. Er hatte gedacht, er täte das Richtige, als er beschloss, den Rest des Geldes von Bouchard wegzugeben, aber Kelly hatte es ausgebadet. Bei dem Gedanken, ihr in peinlichem Schweigen gegenüberzusitzen, zog sich ihm das Herz zusammen.
Stattdessen rief er Catherine an. Er war den ganzen Tag seinem Jägerinstinkt gefolgt, doch ihre Stimme rief eine zartere Regung in ihm wach. Und die zärtlichen Gefühle mischten sich mit Angst.
»Catherine, ich will dich nicht beunruhigen, aber es wäre vielleicht besser, wenn du aufpasst, was rund ums Haus vorsich geht. Und auf unserer Straße. Hast du irgendetwas Ungewöhnliches bemerkt?«
»Wie zum Beispiel?«
»Ich weiß nicht. Seltsame Anrufe vielleicht, wo jemand auflegt, ohne was zu sagen.«
»Nein, nichts dergleichen. Wieso fragst du?«
»Nichts. Alte Geschichten, die wieder hochkommen. Wir müssen nur in der nächsten Zeit ein bisschen vorsichtig sein.«
»John, es gibt noch etwas, worüber wir uns Sorgen machen müssen. Ich hol dich am Flughafen ab.«
»Wieso? Was ist passiert?«
»Ich komme gerade aus dem Krankenhaus. Dein Vater liegt auf der Intensivstation.«
14
E twa um die Zeit, als Cardinal nach New York abgeflogen war, hatte Lise Delorme die weniger spektakuläre Aufgabe erfüllt, einen Handzettel zur Auffindung von Dr. Cates zu entwerfen und zu vervielfältigen. Unter dem Foto der Vermissten stand: Haben Sie diese Person gesehen? Ganz unten war Delormes Telefonnummer abgedruckt. Szelagy verbrachte seinen Vormittag damit, sämtliche Nachbarn der Ärztin im Twickenham zu befragen. Delorme legte die Hälfte der Handzettel auf Szelagys Schreibtisch und ging dann zur Spurensicherung hinüber.
Von allen Räumen des Präsidiums war die Spurensicherung derzeit am meisten in Mitleidenschaft gezogen. Die gesamte Decke fehlte, und die Beamten hatten provisorische Plastikzelte über ihren Schreibtischen und Aktenschränken aufgestellt. Das Plastik schützte ihr Inventar vor Staub und verhinderte ebenso wirkungsvoll jede Luftzirkulation. Dafür richtete es rein gar nichts gegen den Baulärm über ihnen aus.
»Wie können Sie da drin bloß arbeiten?«, fragte Delorme Arsenault. Sie musste gegen das Kreischen eines Metallbohrers anbrüllen. »Sie kriegen keine Luft.«
»Luft?«, fragte Arsenault zurück. »Ich bin dabei, taub zu werden, und Sie sorgen sich um die Luft?«
Collingwood sah einen Moment zu Delorme hoch, um sich sogleich wieder seinem Computer zuzuwenden, unbeeindruckt wie ein Mönch.
Delorme und Arsenault gingen in den Flur.
»Was können Sie mir aus Dr. Cates’ Praxis geben?«
»Es ist eine Arztpraxis – sie halten sie sauber. Ich hoffe, Sie erwarten keine zigtausend Fingerabdrücke oder so.«
»Einer würde mir reichen.«
»Also, da haben wir ein bisschen mehr zu bieten, aber die meisten stammen von Dr. Cates und ihrer Sprechstundenhilfe. Die übrigen gleichen wir gerade mit der daktyloskopischen Datei ab, aber bis jetzt haben wir noch nichts.«
»Und die Verbandshülle?«
»Abdrücke von der Ärztin. Sonst nichts.«
»Sie brechen mir das Herz, Paul. Und was ist mit dem Papier von der Untersuchungsliege? Die Sprechstundenhilfe schwört, dass es Montagabend erneuert wurde, aber gestern Morgen war es benutzt.«
»Leider kein Haar, keine Faser. Aber dafür haben wir ein paar Blutspuren gefunden. Es ist AB negativ.«
»Das ist selten, oder?«
»Ziemlich selten sogar. Wir haben es für die DNA-Analyse zur Gerichtsmedizin eingeschickt, aber Sie wissen ja selber – das braucht seine Zeit.«
Delorme fuhr durch einen
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