Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutiges Eis

Blutiges Eis

Titel: Blutiges Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
Vom Netzwerk:
Binnen achtundvierzig Stunden wussten wir, wer die Entführer waren. Was wir nicht wussten, war, wo sie steckten. Ich war damals überzeugt und bin es bis heute, dass wir sie gefunden hätten, wenn wir nur ein paar Tage mehr Zeit gehabt hätten. Aber die Leute gerieten in Panik.
    Die Bundesregierung – Pierre Trudeau – will, dass die Armee einschreitet. Wörtlich. Dazu braucht er nur noch einen Brief des Bürgermeisters von Montreal und des Premiers von Quebec, die ihn bei einem ›zu befürchtenden Aufstand‹ um Beistand bitten. Dies ist der Wortlaut, den das Gesetz für militärisches Eingreifen vorsieht. Nun ja, einer seiner Minister diktiert den beiden die Briefe, und wie nicht anders zu erwarten, hat er zwei Stunden später die Unterschriften. Um Mitternacht desselben sechzehnten Oktobers 1970 verhängt er das Kriegsrecht. Plötzlich brauchen wir keine richterlichen Durchsuchungs- oder Haftbefehle mehr. Für dreißig Tage können wir jemanden festhalten, ohne Anklage zu erheben. Wir treiben die Leute zusammen, und es kann jeden treffen – und wenn ich jeden sage, dann meine ich jeden, vom Taxifahrer bis zur Nachtclubsängerin. Jeden, der irgendwann einmal irgendetwas Nettes über einen separaten Staat gesagt hat. Wir buchten sie ein und fragen sie, wen sie sonst noch kennen.
    Das Peinliche an der ganzen Sache ist, dass sie überhaupt keinen kennen, nur dreißig von ihnen werden überhaupt unter irgendeine Anklage gestellt, und davon wird gerade mal ein Dutzend verurteilt, meistens für läppische Verstöße gegen das Waffengesetz. Wir haben keine riesigen Waffenlager gefunden, wir haben kein gigantisches terroristisches Netzwerk entdeckt.«
    »So schnell haben sie die Bürgerrechte außer Kraft gesetzt?«, fragte Delorme. »Das haben die Amerikaner nicht mal nach dem elften September getan. Für Einwanderer vielleicht, aber nicht für die eigenen Bürger.«
    »Sie haben völlig recht«, sagte Ducharme. »Die Trudeau-Regierung wollte den Terroristen klar machen, dass Gewalt sie weit mehr kosten würde, als sie ihnen einbringen konnte. Bei der Chenier-Zelle kam das irgendwie anders an. Sie legten es sich so aus, dass sämtliche Verhandlungen der letzten Tage von vornherein Scheingefechte gewesen seien. Ihre Antwort kam prompt einen Tag später: Sie ermordeten Raoul Duquette.«
    »Aber den Diplomaten haben Sie freibekommen«, sagte Cardinal, »diesen Stuart Hawthorne?«
    »Hawthorne haben wir freibekommen. Wir brauchten zwei Monate, aber wir konnten ihn lebend rausholen. Seine Kidnapper gingen nach Kuba, dann nach Paris. Irgendwann kamen die meisten wieder hierher zurück, saßen ein paar Jahre ab – nicht viele übrigens – und ließen sich dann nieder.
    Die Leute, die Duquette umgebracht haben, kamen ins Gefängnis. Leider konnten wir nicht beweisen, wer von ihnen den eigentlichen Mord auf dem Gewissen hatte, und so saßen sie nur zwölf Jahre.
    Und damit wären wir bei Ihrem Foto.«
    Ducharme hielt das Gruppenbild hoch, das Cardinal in Shackleys Wohnung gefunden hatte.
    »Der Kerl links mit dem gewellten Haar ist Daniel Lemoyne,der Anführer der Chenier-Zelle. Der junge Mann vorne ist Bernard Theroux. In seinem ursprünglichen Geständnis hat er behauptet, er hätte Duquette am Boden festgehalten, während Lemoyne ihn erdrosselte. Später hat er sein Geständnis widerrufen, und sein Anwalt hat es geschafft, es ganz aus dem Prozess rauszuhalten.«
    »Und die junge Frau?«, fragte Cardinal. »Sie sieht wie ein Teenager aus.«
    »Sie muss eine Randfigur gewesen sein, falls sie überhaupt ein Mitglied war. Ich hab noch gar nichts über sie. Dasselbe gilt für den anderen jungen Mann, den mit dem Bart und dem gestreiften Hemd. Die Gesichter der entscheidenden Drahtzieher kenne ich auswendig, aber diese zwei …«
    »Dann sind sie keine Mitglieder der Chenier-Zelle?«
    »Ich glaube, nicht. Jedenfalls nicht, dass ich wüsste. Tut mir leid. Normalerweise können wir mit solchen Informationen sofort aufwarten, aber das hier war lange vor dem Computerzeitalter, und die Akten sind gerade von Ottawa an uns unterwegs. Der CSIS hat sie sich vor einer Weile unter den Nagel gerissen. Ist wie beim Kennedy-Attentat, wissen Sie – alle fünf Jahre erklärt irgend so ein Klugscheißer, dass es höchste Zeit sei, sich die Oktoberkrise noch mal vorzuknöpfen. In ein, zwei Tagen müssten wir den ganzen Klumpatsch wieder hier haben, und dann bekommen Sie die Personalien, die Sie brauchen.«
    »Das Ganze ist kaum zu glauben«,

Weitere Kostenlose Bücher