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Blutiges Schweigen

Blutiges Schweigen

Titel: Blutiges Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Weaver
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sagte aber nichts.
    »Als ich dahinterkam, dass sie was mit einem anderen hatte, lief es schon seit etwa einem Monat«, fuhr er fort, womit er offenbar seine Frau meinte. »Wenn ich es zu einem anderen Zeitpunkt erfahren hätte, wäre ich sauer geworden. Vielleicht hätte ich ein paar Möbelstücke durch die Gegend geworfen oder eine Tür eingetreten. Ich weiß, dass ich ziemlich aufbrausend bin. Aber so bin ich nun mal. Mit sechsundvierzig werde ich mich nicht mehr ändern. Allerdings war es kein x-beliebiger Zeitpunkt. Während sie rumgevögelt hat, wurde ich mit Fotos von zwei achtjährigen Mädchen zugeschüttet, denen das Blut aus sämtlichen Körperöffnungen floss. Die Medien forderten meinen Kopf. Mein Vorgesetzter saß mir im Nacken …« Er
verstummte und sah mich an. »Und das Schlimmste war, dass ich keinen einzigen beschissenen Verdächtigen hatte. Nicht einen. Ich hatte wegen der kleinen Mädchen so schreckliche Schuldgefühle wie noch nie. Und deshalb bin ich total ausgerastet, als Gemma es mir gebeichtet hat.«
    »Wir alle haben schon Dinge getan, die wir später bereut haben.«
    Ein Lächeln, das keines war. »Sie machen nicht den Eindruck, als würden Sie Frauen schlagen.«
    »Wir alle haben schon Dinge getan, die wir später bereut haben«, wiederholte ich.
    Er musterte mich. »Und was haben Sie getan?«
    Ich erwiderte seinen Blick. Ich habe Menschen getötet. Menschen, die es verdient hatten. Menschen, die mich umgebracht hätten, wenn ich ihnen nicht zuvorgekommen wäre. Aber trotzdem habe ich getötet. Ich würde genauso gerichtet werden wie sie . Als ich nicht antwortete, starrte er aus dem Fenster. Sein Essen hatte er praktisch nicht angerührt, und sein Kaffee war inzwischen kalt geworden.
    »Man kennt keinen Menschen wirklich«, sagte er nach einer Weile, »nicht einmal die, die man liebt. Sie glaubte, mich zu kennen, und ich umgekehrt genauso. Doch wir haben uns überhaupt nicht gekannt.«
    Einige Minuten vergingen. Ich beobachtete, wie er Daumen und Zeigefinger der rechten Hand aneinanderrieb. Früher hätte er sich jetzt vermutlich eine Zigarette angezündet. Schließlich bestellte er an der Theke einen neuen Becher Kaffee und ging auf die Toilette. Als er nach einigen Minuten zurückkehrte, gab er Zucker in den Kaffee und trank einen großen Schluck. Ich merkte ihm an, dass es in seinem Verstand arbeitete, und ich fragte mich, woran er wohl dachte. An seine Frau? An den Abend, als sie ihm von dem anderen Mann erzählt hatte? An die Schläge? Die Zwillinge? Leanne?
    »Wann findet man sich damit ab, dass jemand endgültig fort ist?«, sagte Healy leise.
    Ich betrachtete ihn und versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr mich die Frage überraschte. Von ihm hätte ich sie nicht erwartet. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er solche Gefühle so dicht unter der Oberfläche mit sich herumtrug.
    »Das ist bei jedem anders. Doch man braucht sich nicht zu schämen, wenn man sich an eine Erinnerung klammert und denkt, derjenige könnte jeden Moment zur Tür hereinkommen.«
    Healy erwiderte nichts.
    Ich gab ihm einen Moment Zeit. »Werden Sie es mir verraten?«, hakte ich schließlich nach.
    Er sah mich an. »Was meinen Sie?«
    »Die Frau in der achten Akte.«
    Er schaute hinaus auf die Straße. In seinen Augen spiegelten sich die Bewegungen und Lichtreflexe draußen vor dem Fenster. »Sona«, sagte er.
    »Ist das ihr Name?«
    Er nickte. Es war ein ungewöhnlicher Name. Er gefiel mir, doch ich hatte ihn noch nie zuvor gehört. Healy kramte in seiner Tasche herum. »Ich glaube, ihre Mutter stammt aus dem Ausland«, fuhr er fort. »Osteuropa.« Er holte ein zusammengefaltetes Stück Papier heraus und reichte es mir. Es war dieselbe Seite, die ich bereits aus der Akte kannte  – nur, dass diesmal nichts geschwärzt war. Alle Informationen waren vorhanden.
    »Und was hat sie mit der Sache zu tun?«
    Er drehte sich zu mir um. »Sie ist diejenige, die es geschafft hat zu fliehen.«

    Die Flucht
    Sona schreckte aus dem Schlaf hoch. So ruckartig und schnell, dass sie spürte, wie etwas riss. Zwei Streifen Klebeband hingen von ihren Augenlidern, wo sie befestigt gewesen waren. Sie schaute sich um. Sie lag auf einem Krankenhausbett. Auf der einen Seite: ein Metalltisch mit chirurgischen Instrumenten und ein EKG-Gerät. Auf der anderen: ein gelber Defibrillator mit zwei Elektroden aus Metall, deren Kabel daneben um eine Stange gewickelt waren. Der Raum hatte fünf Türen: eine links, eine

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