Blutiges Schweigen
Healy fand ein paar Straßen entfernt einen Parkplatz. Auf der anderen Seite des Wassers erhob sich der Dome vor einem grauen Himmel und Nieselregen. Wir wollten das Café schon betreten, als ich ein Stück die Straße hinauf jemanden bemerkte, den ich kannte: Aron Crane. Diesmal war Jill nicht bei ihm, und er trug einen Anzug.
Ich bat Healy, schon einmal vorzugehen. Aron schien in Gedanken versunken und blickte geradeaus, wo die Wolkenkratzer des Canary Wharf ihrem Namen alle Ehre machten. Einige Meter vor dem Café nahm er mich wahr.
Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, als er stehen blieb. »David.«
»Wie läuft es so, Aron?«
»Bestens.« Wir gaben einander die Hand. »Was machst du denn in diesem Teil der Welt?«
»Mit einem Freund Kaffee trinken.« Ich wies ins Lokal. Healy lehnte an der Theke und schaute nach draußen. Er blickte zwischen uns hin und her. »Nun, offen gestanden ist er eher ein Bekannter.«
Aron warf einen Blick auf Healy. »Er scheint schlechte Laune zu haben.«
»Innerlich lächelt er«, antwortete ich. Aron lachte. »Und arbeitest du hier in der Nähe?«
»Ja. So ähnlich. Zumindest in den nächsten zwei Wochen. Ich berate gerade die Citigroup und HSBC. Deshalb wahrscheinlich der starre Blick ins Leere.«
»Stimmt, du hast erzählt, dass du im Bankenwesen beschäftigt bist.«
»Verwende es nicht gegen mich.«
Ich schmunzelte. In dem kurzen Schweigen, das darauf folgte, wurde uns beiden klar, was zwischen uns stand. »Wie geht es Jill?«, fragte ich schließlich.
»Gut.« Eine Pause. »Sie hat mir gesagt, dass du gestern angerufen hast.«
Sein Tonfall wirkte nicht feindselig, doch ich las in seinen Augen, was er mir wirklich mitteilen wollte: Du hast sie gekränkt . »Ich wollte sie nicht beleidigen.«
Er nickte. »Ich weiß.«
»Es ist nur …« Ich verstummte. Es war ein Instinkt, der mich davor warnte, während laufender Ermittlungen mehr als das Nötigste über einen Fall preiszugeben. Aber sie hat ihm sowieso schon alles haarklein berichtet. Sie stehen sich nah. Er ist informiert . »Es gab da ein paar unerwartete Zusammenhänge zwischen dem, was Frank passiert ist, und der Sache, an der ich momentan dran bin. Deshalb erschien es mir naheliegend, mich direkt bei Jill zu erkundigen.«
Er nickte wieder und fuhr sich mit der Hand durchs Haar, als sei er nicht sicher, wie er sich verhalten sollte. »Du bist mir keine Erklärung schuldig.«
»Triffst du dich heute mit ihr?«
»Nein.« Er schaute auf die Uhr. »Ich bin auf dem Weg zum Canary Wharf, um meine Sachen zu holen. Um vier fliege ich zu einem Meeting nach Paris. Es ist nervig und tut mir wirklich leid. Ich hatte Jill versprochen, morgen mit ihr zur Selbsthilfegruppe zu gehen. Aber ich komme erst am Mittwoch zurück.«
Das hatte ich ganz vergessen.
»Gehst du hin?«
»Ich würde gern«, erwiderte ich. Ich brauche eine Gelegenheit,
um mit Jill zu sprechen, ihr ins Gesicht zu sehen und herauszufinden, was sie weiß . »Aber wahrscheinlich muss ich etwas erledigen. Ich wollte dich schon bitten, mich zu entschuldigen.«
»Klappt leider nicht. Ich rufe sie später an und sage es ihr.«
Ich bedankte mich mit einem Nicken.
»Tja, ich muss jetzt los.«
Wieder gaben wir einander die Hand. Doch als er davoneilte, hatte ich das Gefühl, dass er sein Bestes tat, um neutral zu bleiben, aber erhebliche Mühe damit hatte. Ich bedauerte es, Jill gekränkt zu haben. Aber meine Frage bedauerte ich nicht.
Denn irgendetwas war da faul.
50
Das Café war klein. An den Fenstern standen Barhocker, und man hatte Aussicht auf einige zweistöckige Reihenhäuser und einen nagelneuen Wohnblock aus Glas und Chrom. Ich bestellte einen schwarzen Kaffee und ein Sandwich mit Käse und Corned Beef. Healy nahm einen größeren Kaffee und ein Brötchen mit Rindfleisch und Senf. Wir setzten uns ans Fenster und schauten hinaus. Bis zum Einbruch der Dunkelheit mussten wir mindestens drei Stunden totschlagen. Eine lange Zeit zum Nichtstun.
»Das hier ist wahrscheinlich Ihr zweites Wohnzimmer«, stellte er fest.
Ich biss in mein Sandwich. »Es ist ein Stück weiter die Straße hinauf in Wapping.«
»Wahrscheinlich hätten Sie den Journalismus nicht an den Nagel gehängt, wenn Ihre Frau nicht« – er hielt inne und sah mich an – »wenn es nicht passiert wäre?«
»Vermutlich nicht.« Ich griff nach meinem Kaffeebecher.
Draußen spritzte Regen an die Fensterscheibe. Das Tageslicht ließ ein wenig nach. Ich wies mit dem
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