Blutiges Schweigen
große Glocke zu hängen und weitere Fragen abzuwenden.
Es war einfacher so.
Während einige andere, einschließlich Aron, die Rechnung bezahlten, hatte ich draußen Gelegenheit, allein mit Jill zu sprechen. Die Nacht war kalt. Der Himmel hatte einen Moment aufgeklart, sodass der Mond zu sehen war. Kurz darauf verschwand er wieder hinter einer dunklen Wolkendecke.
»Danke, dass du uns heute Abend Gesellschaft geleistet hast, David«, sagte sie. »Es ist sicher kein Vergnügen, die Neuen unterhalten zu müssen.«
»Ich habe mich gefreut, euch beide kennenzulernen.«
»Wie schön. Aron hat mich überredet mitzukommen. Ich muss zugeben, dass ich gezögert habe. Wie du weißt, waren wir bei Franks Tod noch ziemlich neu in der Stadt. Wir haben zwar Freunde im ganzen Land, aber kaum welche in London. Außerdem bin ich das letzte Jahr nur selten vor die Tür gegangen.«
»Das versteht jeder hier.« Ich warf einen Blick auf Aron, der noch im Lokal stand, und dann wieder auf Jill. »Ihr seid euch also rein zufällig begegnet?«
»Mehr oder weniger. Aron holt sich morgens seinen Kaffee im selben Laden wie ich. Eines Tages habe ich hallo gesagt, und nach einer Weile haben wir zu reden angefangen, und nun … hier wären wir.« Sie hielt inne und musterte mich, als müsse sie sich etwas überlegen. »Eigentlich hatten wir vor, am Freitagabend einen trinken zu gehen. Du kannst gerne mitkommen.«
Als sie mich ansah, spiegelte sich das Licht aus dem Lokal in ihren Augen. Wieder schaute ich zu Aron hinüber, der gerade über eine Bemerkung von Jenny lachte, und betrachtete dann wieder Jill.
»Ich möchte niemandem auf die Zehen treten.«
Ihr Blick folgte meinem. »Aron?«
Ich nickte.
»Oh, nein … wir sind nur befreundet. Für so etwas bin ich noch nicht bereit.« Noch ein Blick ins Restaurant. »Warum gibst du mir nicht deine Nummer? Dann schicke ich dir eine SMS oder rufe dich an, falls du mitkommen möchtest. Aber du brauchst dich nicht verpflichtet zu fühlen.«
Ich diktierte ihr meine Nummer. Während sie sie in ihr Telefon eintippte, sah sie wieder Aron an. Vielleicht war sie noch nicht so weit. Er möglicherweise auch nicht. Allerdings empfanden sie eindeutig etwas füreinander, und wenn es nur Freundschaft war. Ich wollte da nicht im Weg sein, weil ich dieses Gefühl ein klein wenig kannte. Ich wusste, wie es war, wenn man in den Schatten, die zurückgeblieben waren, endlich Kontakt zu jemandem bekam.
6
Als Derryn starb, waren meine Eltern seit drei Jahren tot. Ich war Einzelkind. Keine Brüder. Keine Schwestern. Deshalb hatte ich mich anfangs hauptsächlich auf meine Freunde verlassen, die — eine Weile — abwechselnd nach mir sahen. Doch allmählich änderte sich die Situation. Vor Derryns Tod hatten wir herumgealbert, einander auf den Arm genommen und bierbeflügelte Debatten über Fußball und Filme geführt. Nach der Beerdigung spielte all das keine Rolle mehr.
Es gab nur einen Menschen, der das zu verstehen schien.
Als ich kurz nach elf nach Hause kam und über den Zaun in das Wohnzimmer des Nachbarhauses spähte, sah ich, dass meine Nachbarin Liz sich über ihren Laptop beugte. Liz hatte sich immer anders verhalten als die anderen, obwohl sie dazu eigentlich gar keinen Grund hatte. Sie war drei Wochen nach Derryns Tod eingezogen und kannte mich überhaupt nicht. Doch als wir miteinander ins Gespräch kamen, saß sie da und hörte mir nächtelang zu, während ich meine Ehe Revue passieren ließ.
Etwa drei oder vier Monate später wurde mir klar, dass sie etwas für mich empfand. Obwohl sie nie etwas sagte oder sich dementsprechend verhielt, war es deutlich spürbar. Es war ein Gefühl, dass sie da sein würde, wenn ich bereit dazu war. Außerdem unterstützte sie mich auch in praktischen Dingen, in denen ich Hilfe brauchte. Sie war eine ausgezeichnete Anwältin mit eigener Kanzlei in der Innenstadt. Als vor Weihnachten Probleme mit einem Fall auftraten, saß sie mit mir in einem Vernehmungszimmer, während die Polizei versuchte, den Geschehnissen und ihren Hintergründen auf den Grund zu kommen. Ich hatte die Polizisten angelogen und wusste in meinem Innersten, dass Liz das ahnte. Allerdings stellte
sie mich nie zur Rede und erwähnte es nicht ein Mal. Sie verstand, dass mein Bedürfnis, mich anderen anzuvertrauen, seit dem Tod meiner Frau nicht mehr dasselbe war, und schien bereit abzuwarten.
Als ich auf die Veranda trat, sprang der Bewegungsmelder an. Sie bemerkte das Licht und kniff
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