Blutiges Schweigen
Markham bei der Stange zu halten. Mit den anderen Frauen – selbst mit Leanne – war es etwas anderes gewesen. Alle blond. Alle blauäugig.
Alle wert, sie aufzubewahren.
»Wie dem auch sei«, fuhr Phillips fort. »Jill war nicht dort. Wir haben den ganzen Laden auseinandergenommen.«
»Und zu Hause ist sie auch nicht?«
»Nein. Soweit wir feststellen können, ist sie nirgendwo aufgetaucht. Weder zu Hause noch bei der Arbeit oder ihrer Familie.«
Crane weiß, wo sie ist . »Und Crane verrät nicht, wo sie steckt?«
»Er spricht kein Wort. Allerdings haben wir in seinem Unterschlupf Fotos von ihr gefunden. Von ihr, ihrem Haus, ihren Freunden. Auf einigen sind auch Sie zu sehen.« Seine Finger wanderten zu seinem Ehering. Er lehnte sich zurück. »Ich glaube, uns beiden ist klar, dass er sie entführt hat.« Endlich trafen sich unsere Blicke. »Hören Sie, David …«
Ich ahnte, was jetzt kommen würde. Aber ich hatte nicht vor, es ihm leichtzumachen.
»Ich weiß, was Sie gegen uns in der Hand haben.«
»Da haben Sie verdammt recht. Wie Sie mit diesen Frauen umgegangen sind …« Er erwiderte nichts, sondern musterte mich nur. Während ich darauf wartete, dass er seine Handlungsweise rechtfertigte, betrachtete ich ihn und spürte, wie die Wut unter meiner Haut prickelte. »Es war falsch.«
Er nickte. »Zugegebenermaßen.«
»Aber Sie haben es trotzdem getan.«
»Solange Glas nicht ahnte, dass wir ihm auf der Spur sind, waren die Russen zum Greifen nah. Das macht die Sache weder richtiger, noch ändert es etwas für diese Frauen. Doch wir haben es mit der gesamten Palette von Straftaten zu tun: Mord, Drogenhandel, Zuhälterei, Menschenhandel, Waffenschmuggel, Geldwäsche. War es das Opfer wert?« Er zuckte die Schultern. »Das ist eine Frage des Standpunkts.«
»Sie waren gesetzlich und moralisch verpflichtet, die Familien zu informieren.«
»Stellen Sie sich mal die Leiche einer zehnjährigen Prostituierten vor, bei der jede Körperöffnung eingerissen ist.
Oder einen Transporter, der gerade siebzehn Frauen und Kinder ins Land gebracht hat. Leider sind alle erstickt, weil es im Transporter zu wenig Sauerstoff gab. Oder die illegalen Waffen und gepantschten Drogen, die Tag für Tag viele Menschen das Leben kosten. Dann sind die Dinge plötzlich nicht mehr so eindeutig.«
»Für mich schon.«
Er beugte sich vor. »Sieben Frauen oder sieben Zehnjährige?«
»Es geht nicht darum, Prioritäten zu setzen. Man muss alles gleichzeitig angehen.«
Phillips lächelte. »Sie sind ein Idealist.«
»Mag sein, aber Sie sind auf dem Holzweg.«
Wieder nestelte Phillips an seinem Ehering herum und sah auf die Uhr. »Wir haben keine Zeit für dieses Geplänkel. Wir müssen Jill finden.«
»Also finden Sie sie.«
Er sah mich wortlos an.
Was wird hier gespielt?
»Hart ist der Ansicht, dass wir eine Abmachung mit Ihnen treffen sollten«, begann er nach einer Weile. »Und angesichts dessen, was Sie wissen, hat er meiner Ansicht nach recht. Aber was ist mit Ihrem neuen Freund Healy?«
»Was soll mit ihm sein?«
»Wollen Sie ihm helfen?«
»Wie?«
»Mit ihm ist es aus und vorbei, David. Wenn er sich so weit erholt hat, um das Krankenhaus verlassen zu können, wird er das in Handschellen tun. Und dann kommt er vor Gericht und anschließend hinter Gitter. Ihnen ist doch klar, was Bullen, die auf die schiefe Bahn geraten sind, im Knast zu erwarten haben.«
»Und?«
»Wir sind bereit, Nachsicht mit Healy zu üben, wenn Sie uns einen Gefallen tun.«
»Und der wäre?«
Phillips hielt inne. »Wir brauchen Ihre Hilfe.«
»Und wie sähe die aus?«
»Sie müssen Aron Crane vernehmen.«
70
Phillips brachte Liz und mich in einen kleinen Raum, in dem ein Metallregal voller Elektronik stand. Durch einen großen Einwegspiegel konnte ich sehen, dass Aron Crane allein in einem Vernehmungszimmer saß. Er war mit Handschellen an einen am Tisch festgeschweißten Metallbügel gefesselt und starrte an die Wand. Seine Nase war gebrochen, und die Gesichtshälfte, die mit meiner Schaufel in Kontakt geraten war, wies eine Reihe von Blutergüssen auf. Dass ich ihm wehgetan hatte, erfüllte mich mit Genugtuung.
Neben den Aufnahmegeräten hatte ein Polizist mit Kopfhörern an einem Computer Platz genommen, dessen Monitor Liveaufnahmen in Farbe zeigte. Jamie Hart und ein uniformierter Superintendent befanden sich ebenfalls im Raum. Ich erkannte ihn von meinem letzten Verhör wieder. Er stand auf, ging uns entgegen und
Weitere Kostenlose Bücher