Blutiges Schweigen
nach ihrer Hand, und diesmal ließ ich sie nicht entkommen. »Manchmal muss man etwas tun, weil es das Richtige ist – auch wenn das Gesetz dies anders sieht.«
Sie hatte den Kopf gesenkt. Das Haar fiel ihr über die Ohren. Ich drückte ihr die Hände und versuchte, sie dazu zu bringen, mich anzuschauen. Doch sie tat es nicht, sondern verharrte reglos und schweigend.
»Liz?«
Endlich hob sie den Kopf. »Ich kann nicht mit ihr konkurrieren.«
Ich verzog das Gesicht. »Wovon redest du?«
»Derryn. Ich kann nicht mit ihr konkurrieren, David.«
»Was? Du brauchst nicht mit ihr …«
»Dir fehlt der Mechanismus, der dir sagt, wann es genug ist. Du weißt nicht, wann du aufhören musst. Stattdessen versuchst du, Löcher in der Welt zu stopfen, weil du die Erfahrung gemacht hast, wie es ist, jemanden zu verlieren, und verhindern willst, dass andere Menschen das gleiche Schicksal erleiden. Du tust es für sie, David. Der Fall im Norden war für sie. Und dieser hier auch. Du füllst die Lücke, die sie hinterlassen hat, indem du dir den Schmerz anderer Menschen auflädst. Und dagegen habe ich keine Chance.«
Ich gab ihre Hände frei. Als sie mich ansah, kullerte ihr eine Träne aus dem Auge. Ihre Wimperntusche verschmierte. Unfähig, etwas zu sagen, erwiderte ich ihren Blick. Mir fiel kein Gegenargument ein.
Denn tief in meinem Innersten wusste ich, dass sie recht haben könnte.
69
Das Verhör dauerte zweieinhalb Stunden. Die ganze Zeit saß Liz neben mir und fiel mir ins Wort, wenn sie den Eindruck hatte, mich daran hindern zu müssen, dass ich mir mein eigenes Grab schaufelte. Hart und Davidson nahmen mich hart ran, schnappten nach mir wie Kampfhunde und versuchten, mich in Widersprüche zu verwickeln und in Sackgassen und Einbahnstraßen zu locken. Beide hackten auf meinem Verhältnis zu Healy herum und versuchten, es als enger und zweckorientierter darzustellen, als es in Wirklichkeit war. Um ihre Auffassung zu untermauern, kamen sie auf die Szene vor dem sicheren Haus zu sprechen, als Healy die Pistole gezogen hatte. Sie betonten, dass ich nichts getan hätte, um ihn umzustimmen.
»Ich habe ihm gesagt, dass er die Pistole wegstecken soll.«
»Ein Mal«, entgegnete Hart. »Halbherzig. Als Sie das zweite Mal bemerkt haben, was ich Ihnen mitteilen wollte, haben Sie mich ignoriert. Und dann sind Sie mit ihm in den Sonnenuntergang geflüchtet.«
»Ich hatte das Gefühl …«
»Sie haben sich ihm verbunden gefühlt, David.«
»Nein.«
»Sie fanden, dass er sich richtig verhielt.«
»Nein.« Ich seufzte.
»Warum haben Sie es dann getan?«
Kurz sah ich Liz an und wandte mich dann wieder den beiden zu. »Meiner Ansicht nach hat er falsch gehandelt, allerdings aus den richtigen Gründen.«
Davidson schnaubte. »Das ist ja eine tolle Antwort.«
»Ich glaube, er war enttäuscht.«
»Von wem?«
»Von Ihnen.«
Schweigen entstand. Es war heiß im Raum. Nur das Surren der Klimaanlage war zu hören.
»Betrachten Sie die Angelegenheit doch einmal von seiner Warte aus«, fuhr ich fort. »Sie haben das Verschwinden seiner Tochter unter den Teppich gekehrt. Ebenso wie das der anderen sieben Frauen. Und dabei hatten Sie nicht einmal den Anstand, zuzugeben, dass alle Entführungen auf das Konto von Glas gehen.«
Ein Beben schien den Raum zu erschüttern.
Davidson erbleichte. Hart verschränkte die Arme und lehnte sich zurück. »Wovon reden Sie, David?«
»Das wissen Sie ganz genau.«
Keine Antwort. Sie wollten nicht, dass etwas auf Band festgehalten wurde. Ich merkte ihren Mienen an, dass sie nach einem Ausweg suchten. Woher stammten meine Informationen? Hatte Healy geplaudert? Wie hatte er so viel herausfinden können? Jetzt hatte ich sie in der Hand.
»Schon verstanden«, fuhr ich fort. »Immer alles abstreiten und schweigen. Das Problem ist nur, dass Ihr enger Kreis sich inzwischen erweitert hat. Sie sind nicht mehr als Einzige darüber im Bilde, was wirklich geschehen ist. Der Rest der Welt mag es für einen absoluten Glückstreffer halten, dass wir in diesem Gebäude über sieben Frauen gestolpert sind, doch wir alle wissen es besser.«
Davidson wandte sich ab. Hart hielt den Blickkontakt. Aber seine Hand schwebte über dem Kassettenrecorder. Offenbar wünschte er sich sehnlichst ein Ende dieser Unterredung herbei. Ich bedeutete ihm mit einer Kopfbewegung, das Gerät abzuschalten.
Er hielt das Band an.
Liz beugte sich vor. »Okay«, sagte sie, »hier ist unser Angebot: David verlässt ohne
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