Blutiges Schweigen

ihr? Hat sie dir das angetan?«
    Er betrachtete seinen Arm.
    »Eigentlich ein nettes Mädchen«, erwiderte er, »aber schrecklich aufbrausend. Ein wenig … unberechenbar . Sie hatte etwas dagegen …« Er bewegte die Finger der rechten Hand vor dem Gesicht. »Sie ist ein bisschen früher aus der Narkose aufgewacht, als ich geplant hatte, und ehe ich mich’s versah, hatte sie mir eine halbe Flasche Schwefelsäure über
den Arm geschüttet.« Er hielt inne. Seine Augen weiteten sich. »Autsch.«
    Er berührte die Narbe mit dem Finger. Sie war uneben und dunkelrosa.
    »Gelernte Lektion? Kaufe niemals Sodiumpenothal aus Rumänien. Danach habe ich das Narkosemittel gewechselt. Mit dem Diethyläther aus Russland klappte es eine Weile ganz gut  – bis ich es irgendwann satthatte, die Kotze aufzuwischen. Das Zeug schlägt einem nämlich ein bisschen auf den Magen.« Er hielt inne und betrachtete mich. »Unterbrich mich, wenn ich dich langweile, David.«
    Ich schwieg.
    »Also habe ich mich auf Halothan verlegt. Bis zu der Sache mit Sona funktionierte das auch wunderbar, aber leider bin ich dann als Hobby-Anästhesist erneut gescheitert. Inzwischen weiß ich, warum die Facharztausbildung sieben Jahre dauert.«
    Er lehnte sich zurück, als sei er am Ende seines Berichts angelangt.
    »Hast du überhaupt Medizin studiert?«
    Er nickte. »Fünf Jahre an der Uni, ein Jahr Arzt im Praktikum, zwei Jahre Allgemeinmedizin und dann noch ein Jahr Facharztausbildung zum plastischen Chirurgen. Ich kann eine Gesichtsstraffung durchführen, falls du das meinst. Aber ob ich einen Abschluss in plastischer Chirurgie habe? Nein, den habe ich nicht.« Er rieb Daumen und Zeigefinger aneinander. »Im zweiten Jahr der Facharztausbildung haben sich mir Möglichkeiten eröffnet, die spannender waren, als hinter dem Chefarzt herzutrotten und ihm die Schere nachzutragen.«
    »Das organisierte Verbrechen?«
    »Weißt du, wie viel ein plastischer Chirurg im öffentlichen Gesundheitswesen jährlich verdient?«
    Ich schüttelte den Kopf. Dabei überlegte ich, was er wohl
für ein Spiel trieb. Worauf wollte er hinaus? Welche Falle wollte er mir stellen?
    »Einstiegsgehalt siebzigtausend. Wenn man gut ist, irgendwann achtzig oder neunzig. Die Allerbesten bekommen so um die hunderttausend. Und weißt du, was es mir eingebracht hat, dem Russen das Gesicht umzubauen?« Er meinte Akim Gobulev. Den Geist. Aron neigte leicht den Kopf zur Seite. »David?«
    »Wie viel?«
    Er lächelte. »Ich hatte schon gedacht, du würdest ein kurzes Nickerchen halten.«
    »Wie viel?«
    »Zweihundertfünfzig tausend . Für ein einziges Gesicht. Ich habe in sieben Stunden mehr verdient als die besten Chirurgen im staatlichen Gesundheitssystem in einem ganzen Jahr. Die befassen sich mit Mikrochirurgie. Seriösen Eingriffen, wie zum Beispiel das Bein eines Typen, der einen Motorradunfall hatte, wieder auf Vordermann zu bringen oder Muskeln zu transplantieren. Ich habe für die Hälfte der Anstrengung das Doppelte kassiert. Das Kinn ein wenig reduziert. Die Nase schmaler gemacht. Knochen versetzt. Fett abgesaugt. Geschnitten und aufgefüllt. Es ist zwar kompliziert, aber …« Er legte den Finger an die Lippen. »Er war schon vorher so kotzhässlich, dass es anschließend niemanden gestört hat, wie scheiße er aussah.«
    Ich starrte ihn an. »Muss ein tolles Gefühl sein.«
    »In welcher Hinsicht?«
    »Jetzt bist du wie dein Idol Milton Sykes.« Ich wies mit dem Kopf auf seine an dem Metallbügel am Tisch festgekettete Hand. »Jetzt kommt ihr beide in die Geschichtsbücher.«
    Er lachte auf. »Stimmt. Nur, dass der nicht zwei Millionen Pfund in einem einzigen Jahr gemacht hat.«
    Ein Lächeln umspielte seine Lippen. An der rechten Hand
war ein Fingernagel abgerissen. Die Wunde schien frisch zu sein. Die Spitze seines Mittelfingers war geschwollen und blau angelaufen. Er bewegte die Hand mit ausgestrecktem Finger über den Tisch wie eine Spinne.
    »Reichtum ist eine feine Sache, David«, sagte er leise.
    Ich ging nicht darauf ein. »Warum die Frauen?«
    »Wir haben alle unsere Vorlieben.«
    »Weshalb hast du sie operiert?«
    Er zuckte die Schultern und antwortete nicht.
    »Was wolltest du damit erreichen?«
    Wieder warf er einen Blick auf den Einwegspiegel und wandte sich dann mit weit aufgerissenen Augen an mich. »Ich wollte eine Armee identisch aussehender Menschen schaffen!« Er fing an zu lachen und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Dann verstummte er. »Nein, jetzt