Blutiges Schweigen
mit ihm vor.
Die Rache folgt auf dem Fuße.
Sie bogen um eine Ecke, schoben ihn ins Vernehmungszimmer und setzten ihn an den Tisch. Dann ketteten sie ihn an dem mit der Tischplatte verschweißten Ring fest und gingen.
Es wurde still im Raum.
Irgendwann würde die Sache mit Phedra ans Licht kommen. Das stand fest. Wenn sie gründlich genug suchten, würden sie ihre sterblichen Überreste finden. Und die Leiche daneben ebenfalls. Dann würde ihnen klar werden, dass es sich bei der Inschrift auf seiner Kette – PC – um ihre Initialen handelte und dass das Schmuckstück ihr gehört hatte.
Doch was genau geschehen war, würden sie niemals erfahren.
Denn sogar er selbst war inzwischen nicht mehr sicher. Er hatte so oft darüber nachgedacht, dass er es an manchen Tagen als Unfall im Gedächtnis hatte. An anderen wieder nicht. Gelegentlich sah er vor sich, wie sie ein Tablett über die Dachterrasse ihres Hauses trug und stolperte. Dann wieder schrie sie ihm entgegen, sie werde in zwei Monaten ein Kind bekommen und brauche mehr Unterstützung von ihm, woraufhin er ihr einen Stoß versetzte. Das Einzige, was ihm noch klar vor Augen stand, war, dass er über die Dachkante geschaut hatte. Sie hatte unten im Gras auf dem Rücken gelegen.
Sie blickte zu ihm herauf, während ihr Leben langsam verlosch.
Zwei Polizisten in Zivil kamen herein. Der eine war Hart, der andere Phillips. Hart erkundigte sich nach Cranes Befinden, erhielt jedoch keine Antwort. Crane hatte seit seiner Festnahme kaum ein Wort von sich gegeben, lediglich gefordert, dass Raker ihm die Fragen stellen musste. Nun würden sie es wieder versuchen.
»Mr Crane«, begann Hart. »Wir müssen wissen, wo Jill White ist.«
Er musterte Hart. Du siehst aus wie ein Skelett.
»Mr Crane?«
Du siehst aus, als ob du unter die Erde gehörst.
»Mr Crane, wir brauchen wirklich …«
»Ich möchte telefonieren.«
Sie starrten ihn an. Er spürte, wie er innerlich grinsen musste. Jetzt war es ihm gelungen, sie so aus dem Konzept zu bringen, dass es ihnen die Sprache verschlagen hatte. Hart blickte zwischen Phillips und Crane hin und her. »Wollen Sie einen Anwalt?«
Crane nickte.
»Wir können Ihnen einen stellen.«
»Ich habe bereits einen.«
»Gut, dann rufen wir ihn für Sie …«
»Nein«, fiel Crane ihm ins Wort, »das erledige ich selbst.«
Sie betrachteten ihn. Hart beugte sich vor, während Phillips wieder an seinem Ehering nestelte und Crane fixierte. »Warum ausgerechnet jetzt?«, fragte Phillips.
»Weil es mein Recht ist.«
»Schon, aber warum jetzt?«
»Weil es mein Recht ist.«
Wieder Schweigen. Hart warf Phillips einen Blick zu, doch dessen Aufmerksamkeit galt Crane. Er hatte den Kopf zur Seite geneigt, als versuche er zu ergründen, was in ihm vorging. Crane starrte zurück; keiner von beiden wandte die
Augen ab. Er merkte Phillips an, dass er ihm misstraute. In vielerlei Hinsicht ähnelte er Raker: Sie waren beide gute Beobachter und achteten auf die Dynamik eines Gesprächs – auf Anzeichen dafür, dass etwas nicht stimmte. Schließlich hörte Phillips auf, seinen Ehering zu drehen, und nickte langsam.
»Dann werden Sie die Gelegenheit bekommen, Ihren Anwalt anzurufen«, sagte er.
72
Als ich in der Derry Road eintraf, war es kurz vor neun Uhr abends. Am Anfang der Gasse, die in den Todeswald führte, standen Streifenwagen. Die gesamte Straße war abgesperrt. Das Taxi setzte mich am südlichen Ende ab. Ich wartete, während ein uniformierter Polizist Phillips per Funk über meine Ankunft informierte. Kurz darauf hob er das Absperrband, damit ich mich darunter hindurchdurchducken konnte. Ich steuerte auf das Auge des Sturms zu. Fenster hatten sich geöffnet. Menschen schauten herunter. Blaulichter tauchten den Gehweg in ihren Schein. Aus den Häusern wehten Küchengerüche und hingen in der Luft. Die Kühle verhieß Regen.
Zwei Scharfschützen hatten mitten auf der Straße Stellung bezogen. Der eine überprüfte auf dem Rücksitz ihres Autos eine MP5 von Heckler & Koch. An der Hüfte trug er eine Glock im Halfter. Sein Kollege saß vorn im Auto, telefonierte und notierte sich etwas auf ein Stück Papier, das er aufs Armaturenbrett gelegt hatte. Hinter dem Auto stand ein Polizeitransporter, Marke Mercedes Sprinter. Davor hatten sich zwei uniformierte Polizisten postiert. Um sie herum parkten Streifenwagen in einer Art Halbkreis. Neben den Fahrzeugen erkannte ich Phillips und Hart, ins Gespräch vertieft. Hart wies auf
Weitere Kostenlose Bücher