Blutiges Schweigen
Notizen in Sachen Sykes angelangt war. 03 2 06: 3. Februar 1906.
Der Tag seiner Hinrichtung.
Ich gab Megans E-Mail-Adresse als Benutzernamen und 030206 als Passwort ein. Dann drückte ich auf Return. Das Eingabefenster verschwand, und auf der Webseite öffnete sich eine neue Seite. Es dauerte ein paar Sekunden. Als alles fertig war, erschien mitten auf der Seite eine kleine, etwa zehn Quadratzentimeter große Karte. Sie war mit schwarzem Markierstift und mit der Hand gezeichnet worden und schien einen Parkplatz darzustellen. Autos aus der Vogelperspektive, nebeneinander abgestellt. Gegenüber eine schmale Linie. Auf der anderen Seite der Linie befanden sich ein X und die getippte Botschaft: Triff mich hier um 14:30 zu einem romantischen Waldpicknick!
Es war der Parkplatz hinter dem Gebäude für die sechsten Klassen an der Newcross Secondary School.
Der Mann hatte gewusst, was er tat. Außerdem, dass es in diesem Teil der Schule keine Überwachungskameras gab und wann der Unterricht endete. Er hatte Megan abgeholt und mitgenommen, ohne dass es jemand bemerkt hatte.
Die perfekte Entführung.
Nur, dass er eine Spur hinterlassen hatte. Denn während für die Polizei jeder beliebige Wald infrage kam, hatte ich ihn im Tiko’s bemerkt. Ich kannte sein Aussehen und hatte die Bedeutung des Passworts für die Webseite herausgefunden.
Deshalb war mir auch klar, was an jenem Tag sein nächster Schritt gewesen war. Er war mit ihr nach Hark’s Hill Woods gefahren.
27
Nur wenige Häuser von meinem Büro entfernt gab es ein Café, das auch einen herzhaften Imbiss im Angebot hatte. Ich ging nach unten und bestellte ein Steaksandwich. Während
ich wartete, summte mein Telefon. Es war Ewan Tasker, der wegen Jills Mann anrief. Ich war versucht, nicht ranzugehen. Nicht, weil ich nicht mit ihm sprechen wollte, sondern weil ich wegen meiner Arbeitsbelastung keine Lust hatte, mich nur wenige Minuten nach meinem großen Durchbruch im Fall Carver mit einem anderen Problem zu beschäftigen. Aber wenn ich nicht reagierte, würde Tasker nur denken, dass ich nicht in der Nähe des Telefons war, und weiter anrufen.
Ich drückte auf ANNEHMEN. »Seniorenhilfe.«
Ein Lachen knisterte in der Leitung. »Raker.«
»Wie geht’s dir, Task?«
»Gut. Und dir?«
»Kann nicht klagen. Habe es heute Vormittag bei dir versucht, aber wahrscheinlich warst du gerade auf dem Weg zum neunzehnten Loch. Du bist doch nicht schon breit, oder?«
Wieder ein Lachen. »Noch nicht.«
Regen prasselte gegen die Scheiben des Cafés. Es klang, als marschierte eine Armee vorbei. Ich beugte mich ein wenig vor und hielt mir das andere Ohr zu.
»Und was hast du für mich, alter Junge?«
»Die Infos sind aber nicht von mir.«
»Das versteht sich doch von selbst.«
Das Rascheln von Papier.
»Okay. Frank Robert White. Einundvierzig Jahre alt. Verheiratet mit Jill. Keine Kinder. War seit drei Jahren Detective Inspector, als er umgenietet wurde. Davon neunzehn Monate bei der Metropolitan Police. Am Abend des fünfundzwanzigsten Oktober vergangenen Jahres hat er einen Schuss in die Brust abgekriegt, hoch oben, in der Nähe der linken Schulter. Und dann noch einen in den Kopf, dicht oberhalb des Nasenrückens. Er war Mitglied der Sonderkommission, die gegen Akim Gobulev ermittelte. Du hast doch schon von ihm gehört, oder?«
»Ja, der Geist.«
»Richtig. Gobulev ist der Boss der Russenmafia in London, nur dass ihn seit seiner Landung in Heathrow vor zehn Jahren niemand mehr gesehen hat.« Wieder wurde in Papieren geblättert. »Weißt du, was sein Vorname auf Russisch bedeutet?«
»Nein.«
»Gott Wird Richten. Da hat er verdammt recht. Der Typ ist mir schon beim NCIS auf die Eier gegangen, aber es sieht ganz danach aus, als ob die SOCA durch einen Informanten näher an ihn rangekommen wäre.«
»Also hat die SOCA mit Whites Sonderkommission zusammengearbeitet?«
»Richtig. White war beim SCD, der Sonderabteilung Verbrechensbekämpfung.«
Das SCD war eine Abteilung der Londoner Polizei, die stadtbezirksübergreifend in wichtigen Fällen ermittelte. Mord, Bandenkriminalität, Kindesmissbrauch, Computerkriminalität, Geldwäsche — all das fiel unter den Zuständigkeitsbereich des SCD. Dieses war wiederum in acht operative Einheiten unterteilt. SCD7, Spezialgebiet organisiertes Verbrechen, war Frank Whites Arbeitsplatz gewesen.
»White hatte eine Sonderkommission zur Unterstützung der SOCA eingerichtet. Sie standen kurz davor, Gobulev die Handschellen
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