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Blutiges Schweigen

Blutiges Schweigen

Titel: Blutiges Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Weaver
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Computerbildschirm blickte mir ein verschwommenes Foto von Milton Sykes entgegen. Und in dem Abstand zwischen mir und dem Monitor ballten sich die unbeantworteten Fragen. Ich trommelte mit den Fingern auf den Schreibtisch und versuchte, die Einzelteile zu einem Ganzen zusammenzufügen. Der Mann im Tiko’s. Das Alias Grant. Die E-Mail.
    Die Karte.
    Deshalb bin ich ja so sicher, dass er die Frauen im Wald vergraben hat. Denn ich war dort … und etwas stimmt da eindeutig nicht . Dooleys Worte fielen mir wieder ein, während ich noch einmal das Satellitenfoto von Hark’s Hill Woods anklickte. Aus der Luft wirkte der Wald nicht sehr bedrohlich: nur anderthalb Quadratkilometer Land, um das sich Gerüchte und Legenden rankten. Doch diese hatten ihre Wirkung auf die Menschen nicht verfehlt, sie geängstigt und sie schließlich angezogen.
    Und vor sechs Monaten war Megan Carver einer dieser Menschen gewesen.

29
    Als ich die Derry Road, die am südlichen Rand von Hark’s Hill Woods verlief, gefunden hatte, war es drei Uhr. Die Reihenhaussiedlung war ziemlich heruntergekommen. Alles wirkte schäbig und desolat, ein Eindruck, der noch davon verstärkt wurde, dass kein einziger Mensch in Sicht war. Keine spielenden Kinder. Keine Nachbarn, die sich auf der Vortreppe unterhielten. Nur graue Herbststille.
    Als die Straße anstieg, konnte ich jenseits der Hausdächer auf der linken Seite die aufgegebenen Fabriken erkennen, die ich auf den Satellitenfotos gesehen hatte. Auch sie waren menschenleer, allerdings auf eine offensichtlichere Weise: zerbröckelndes Mauerwerk, schwarze Fensteröffnungen, mit Brettern verrammelte Türen. Andere wiederum standen weit offen, eine Einladung an Drogensüchtige, Obdachlose und abenteuerlustige Jugendliche. Als die Straße wieder abwärtsführte, verschwanden die Fabriken, doch einen halben Kilometer weiter bemerkte ich eine schmale Gasse, die erste Lücke zwischen den Reihenhäusern. Ein Schild zeigte hinein. Es war von der Sonne ausgeblichen und vom Regen verwaschen und deshalb unleserlich. Ein etwa fünfzehnjähriger Jugendlicher saß auf der Vortreppe seines Hauses und beobachtete mich. Ich parkte, stieg aus dem BMW und schaltete die Alarmanlage ein. Der Junge starrte mich weiter an.
    Ich erwiderte seinen Blick. »Hallo.«
    Er schwieg. Seine Augen huschten zwischen mir und dem Durchgang hin und her, als sei ich im Begriff, eine Dummheit zu machen. Ich steuerte auf die Gasse zu. Anfangs war sie noch betoniert, ging aber dann in einen Kiespfad über. Dahinter befanden sich eine betonierte Fläche und die halb eingestürzten Mauern einer alten Fabrik, die beinahe trotzig
in den Himmel ragten. Selbst aus der Entfernung war zu erkennen, dass es hier aussah wie auf einer Müllhalde. Überall waren Abfälle verstreut. Man hatte sie dort, wo die Mauern noch standen, in die Ecken geschoben oder sie einfach dazwischen liegen lassen. Der Wind trug den Geruch von Flaschen, Einwickelpapieren, Dosen und Müllsäcken heran.
    »Sie wollen doch nicht etwa dorthin, oder?«, sagte der Junge.
    Ich sah ihn an. »Doch. Scheint nett zu sein.«
    Zum ersten Mal lächelte er. »Ist aber nicht nett.«
    »Oh, ich weiß nicht.« Ich holte Luft. »Die frische Bergluft. Den köstlichen Duft von Müllkippe und öffentlichem Klo findet man nicht oft an einem Ort vereint.«
    Er lächelte wieder. Ich nickte ihm zum Abschied zu und setzte mich in Bewegung. Er betrachtete mich im Vorbeigehen, und langsam verflog sein Lächeln. »Todeswald.«
    Ich blieb stehen. »Wie bitte?«
    »So heißt das hier.« Er schaute zwischen mir und der Gasse hin und her. »So nennen wir diesen Wald. Todeswald.«
     
    Auf der anderen Seite des Fabrikfundaments klaffte der Eingang zum Wald. Er war völlig zugewuchert. Die Natur hatte ihr Terrain zurückerobert, bedeckte alles und fraß sich wie ein Virus in ihre Umgebung. Bäume neigten sich von beiden Seiten über den Pfad, sodass ihre Kronen einen Baldachin bildeten. Ein Stück weiter drang das Tageslicht durch jede verfügbare Lücke und malte wässrig gelbe Quadrate auf den Boden.
    Ich marschierte weiter.
    Während der Pfad in eine Schlammpiste überging, nahm das Gras immer mehr Raum ein. Es brach aus dem Boden und ragte wie Hunderte von Fingern aus der Erde. Je tiefer ich in den Wald kam, desto dunkler wurde es. Ich sah auf die Uhr. Halb vier. In anderthalb Stunden begann die Dämmerung. Um sechs würde es unter den Bäumen stockfinster sein.
    Vor mir tropfte der Regen von den Blättern einer

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