Blutiges Schweigen
wenn es von Davidson gekommen wäre. Phillips war geradeheraus gewesen. Kein Muskelspiel. Keine Versprechungen. Kein Theater. Und nun bezichtigte er mich in einem Polizeiverhör der Lüge.
»Ich lüge nicht«, wiederholte ich.
Phillips betrachtete mich einen Moment. Dann blitzte etwas in seinen Augen auf, vielleicht ein Anflug von Enttäuschung, als hätte er sich mehr von mir erwartet.
Und dann drehte er das nächste Foto um.
Es war in meiner Küche aufgenommen worden. Ein Nummernaufsteller war auf dem Boden vor einigen lackierten, eins achtzig langen Holzbrettern platziert worden, die unter einer der Arbeitsflächen angebracht waren. Das oberste Brett hatte sich auf der rechten Seite gelockert. Es war mir schon vor ein paar Abenden beim Kochen aufgefallen, und ich hatte mir fest vorgenommen, es wieder zu befestigen, es allerdings vergessen. In der Nische hinter dem Brett war ein Nagel in die Wand geschlagen worden.
Und daran hing etwas.
Ich zog das Foto näher heran. Es war ein weißes, mit Blut gesprenkeltes Kleidungsstück.
»Was ist das?«
»Das«, entgegnete Phillips und klopfte mit dem Finger darauf, »hatte Megan an dem Tag an, als sie verschwand.«
38
Mein erster Gedanke galt der Frage, wie weit Liz inzwischen wohl gefahren sein mochte. Im Vernehmungszimmer gab es keine Uhren. Phillips trug zwar eine Armbanduhr, doch die war unter seinem Ärmel verborgen. Seit meinem Telefonat war schätzungsweise eine Stunde vergangen. Das hieß, dass sie vermutlich irgendwo nördlich von Oxford war, vorausgesetzt, sie war sofort nach meinem Anruf losgefahren. Ich blickte zwischen Phillips und Davidson hin und her und überlegte, ob ich um den Pflichtverteidiger bitten sollte, auf den ich ein Recht hatte. Allerdings hätte das die Vernehmung nicht gestoppt, falls sie glaubten, dass Megan noch lebte und in unmittelbarer Gefahr schwebte. Aber es hätte wenigstens einen Keil zwischen die beiden getrieben und die Befragung verkompliziert. Und bis sie sich wieder sortiert haben würden, würde Liz ein paar Kilometer weiter gekommen sein.
»Leugnen Sie etwa, dass Sie es dorthin gehängt haben?«, sagte Phillips.
Ich nickte. »Ja.«
»Wollen Sie damit andeuten, dass Ihnen jemand was unterschieben möchte?«
Ich nickte wieder. »Ja.«
Davidson schüttelte den Kopf. »Das ist doch Schwachsinn. Sie wissen, wo Megan Carver ist. Sie haben ihre Sachen in Ihrem verdammten Haus an der Wand hängen. Wo ist sie?«
Ich blickte ihn an. »Strengen Sie mal Ihren Verstand an. Warum sollte ich den Fall übernehmen, wenn ich sie entführt hätte? Weshalb riskieren, dass ich auffliege? Jemand will, dass Sie mich für den Täter halten. Also ist er bei mir eingebrochen und hat diesen ganzen Mist deponiert, damit Sie ihn finden.«
»Sie reiten sich nur immer tiefer rein, David«, meinte Phillips.
»Ich reite mich überhaupt nicht rein. Jemand befürchtet, ich könnte der Wahrheit zu nah gekommen sein, und will mich jetzt an die Wand nageln.«
»Zu nah?«, wiederholte er. »Sie haben doch vorhin behauptet, Sie hätten nicht mehr gefunden als wir. Soll das heißen, dass das nicht zutrifft?«
Er neigte den Kopf zur Seite, als hätte ich mich verplappert.
»Nein«, erwiderte ich und spann die nächste Lüge zurecht. »Das bedeutet nur, dass ich womöglich unwissentlich auf etwas gestoßen bin, das ich selbst noch nicht ganz verstehe, und ihm dadurch zu sehr auf die Pelle gerückt bin.«
»Ihm? Von wem reden wir hier?«
Ich seufzte auf. »Jedem in diesem Raum ist doch klar, dass wir es mit einem Mann zu tun haben.«
»Ja«, sagte Davidson. »Mit Ihnen.«
»Nein«, entgegnete ich. »Ich bin der Falsche. Doch jeder Statistiker auf diesem Planeten wird Ihnen bestätigen, dass der Täter ein Mann sein muss. Das ist keine sehr gewagte These.«
Wieder schüttelte Davidson den Kopf.
»Wie sind Sie überhaupt auf die Idee gekommen, mein Haus zu durchsuchen?«, fragte ich ihn. »Woher wussten Sie, dass Sie dieses Zeug dort finden würden? Sechs Monate vergehen, und plötzlich beschließen Sie, mich für den Täter zu halten? Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Richter Ihnen wegen einer Spontanidee einen Durchsuchungsbeschluss ausgestellt hat.«
»Vielleicht ist der Grund ja, dass unsere erste Begegnung stattfand, als Sie gerade ein fremdes Haus mit zwei Leichen darin verlassen haben«, gab Davidson zurück und beugte sich zu mir vor. »Und es wird noch bessser. Der eine Tote ist noch
ein Jugendlicher, und zehn Zentimeter von seiner
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