Blutjägerin (German Edition)
der Gründung des Rates zu einem Übungsraum umfunktioniert hatten. Es war ein Ort, der jedes Kämpferherz höherschlagen ließ. Die Trainingshalle stammte, wie auch der Rest der unterirdischen Anlage, aus der Zeit des Vampirkriegerordens. Die Halle verfügte über einen Kraftraum, einen Ring mit Stahlseilen und einen Hindernisparcours, der jeden Fehler mit Schmerzen strafte, denn auf jegliche Schutzmaßnahmen, wie Matten oder Fangnetze hatten sie verzichtet. Auch ein richtiger Kampf verzieh keine Fehler.
Im hinteren Teil gab es einen abgegrenzten Bereich zum Testen von Waffen aller Art an Holzpuppen, einen Pool mit eisigem Wasser und selbstauslösenden Fallen, die zum Training der Reflexe über Bewegungssensoren gesteuert hoch beschleunigte Gummiprojektile durchs Wasser schossen.
Gerald tauschte den Anzug gegen eine maßgeschneiderte Kampfmontur aus Stoff, Leder und vereinzelten, mehrfach gehärteten Stahlblechen, die den besonders verwundbaren Stellen wie dem Herz zusätzlichen Schutz bieten sollten, aber ihn in der Bewegung nicht behinderten.
Verwandelt in den Krieger, der er einst war, trat Gerald aus der Umkleidekabine. Er schaute auf die Uhr, es war knapp nach zwei. Die Nacht würde noch vier Stunden dauern, ehe die Dämmerung hereinbrach und mit Tagesanbruch etwas Ruhe einkehrte. Zwar tötete entgegen aller Legenden Sonnenlicht einen Vampir nicht auf der Stelle, dennoch war es nicht unbedingt gesundheitsförderlich, weshalb viele seines Volkes die Tage in dunklen Räumen verbrachten. Wie auch bei der unterschiedlichen Ausprägung der Vampirkräfte waren die Reaktionen auf Sonnenlicht verschieden.
Gerald lief eine Runde auf dem Parcours, der um die Halle führte. Die Strecke bestand aus gemauerten Blöcken, Stacheldraht, Felsbrocken, aber auch feinem Treibsand und einer Reihe von mittelalterlichen Fallen, die es zu überwinden galt, ohne den Kopf oder andere Extremitäten zu verlieren. Einst war die Überwindung dieses Parcours eine der Aufnahmeprüfungen in den Kriegerorden. Mittlerweile reichte Gerald ein unterschriebener Vertrag zur Aufnahme eines Vampirs in die Sicherheitsagentur. So hatten sich die Zeiten geändert.
Nach zwei weiteren Runden übte er sich im Schattenboxen und am Sandsack. Im Laufe seines 220-jährigen Lebens hatte er eine Reihe von Kampfsportarten erlernt und beherrschte sowohl den waffenlosen Kampf als auch den mit Degen und Dolch. Nur Schusswaffen verabscheute er seit jeher zutiefst, da er sie für unehrenhaft und feige hielt.
Zum Abschluss zog er die schweißnasse Montur aus und sprang nackt in das eisige Becken.
Als er die Trainingshalle verließ, fühlte er sich eine Spur besser, auch wenn ihn das Training an die erste Begegnung mit Sophie erinnerte. Er sah den Moment vor sich. Gerald durchschritt den Bühnenraum des Wiener Burgtheaters. Sophie, erst sechzehn Jahre alt, kniete auf der Bühne, daneben ihr Vater, der über dem Leichnam seiner Frau kauerte. Es dauerte eine Weile, bis Richter bemerkte, dass sie nicht mehr allein waren. Er hob den Kopf. In den roten Augen loderte Hass.
„Vermont“, sagte Richter mit heiserer Stimme. „Wenn Sie mich töten wollen, tun Sie es, aber verschonen Sie meine Tochter.“
„Ich bin kein Mörder. Sie sind ein Krieger. Meine Ehre verbietet es, Sie hilflos am Boden liegend zu töten.“
„Ein Vampir mit Ehre.“ Richter lachte abwertend. Er hielt den Leichnam fest umklammert.
„Ich habe Ihre Frau nicht getötet.“ Gerald näherte sich einige Schritte.
„Was wollen Sie dann hier? Sich an meiner Trauer ergötzen?“
„Ich bin hier, um den Mörder zu finden.“
„Sie wollen mir helfen?“
Richter blieb misstrauisch. Wer konnte es ihm verdenken? „Nein, nicht Ihnen. Es sind unsere Gesetze, die das hier verbieten. Das ist auch meine Angelegenheit.“
Richters Hand wanderte unter den Mantel und zog langsam eine Waffe aus dem Halfter. „Lassen Sie mich nicht an Ihrer Ehre zweifeln.“ Schneller als die Augen des Jägers es erfassten, packte er Richters Hand und zog sie unter dem Mantel hervor. „Sie können mich jagen, sobald ich diese Räume verlassen habe. Lassen Sie uns diese Fehde für den Augenblick vergessen.“
„Wenn das so ist, dann helfen Sie meiner Tochter. Ich weiß, dass Sie es können. Nehmen Sie ihr die furchtbare Erinnerung an diesen Tag. Wenigstens sie soll in Ruhe leben.“
Gerald betrachtete ihr jugendliches Gesicht, erkannte Trauer und Schmerz hinter der starren Fassade. Es berührte ihn. Ging so tief, dass
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