Blutjägerin (German Edition)
nicht? War ihm ihre Gegenwart unangenehm? Hatte er deshalb Brom vorgeschickt, ihr die Todesursache ihres Vaters zu überbringen? Vielleicht wollte er nur nicht aufdringlich sein.
„Du müsstest dein Gesicht sehen. Als wolltest du jeden Moment losstürmen.“
„Bin ich so leicht durchschaubar?“ Sophie nahm die Tasche an sich. Das jugendliche Schwärmen für Gerald kam ihr beinahe wie Verrat an ihrem Vater vor. Eigentlich sollten ihre Gedanken ihm gehören und der Trauer. Es war nicht richtig, in einem Moment wie diesem romantische Gefühle zu hegen, und doch half es ihr, mit der Flut negativer Erlebnisse umzugehen. Schubweise empfand sie eine furchtbare Leere und einen tiefen, stechenden Schmerz, der kam und verging, ihr die Luft nahm oder wie Feuer in ihrer Brust brannte.
Nach der Ruhe des Vortages begann der Montag umso hektischer. Bereits in den frühen Morgenstunden meldete sich jemand von der Gerichtsmedizin und Sophie ließ sich den Brief per Boten an Doras Adresse zustellen. Die Oberflächlichkeit, mit der die Behörden den Tod ihres Vaters abhandelten, war ernüchternd. Als sei er nur eine Nummer – Stempel drauf und ab unter die Erde. Wahrscheinlich war er das für die zuständigen Leute auch. Arbeit. Tägliche Routine.
Das schlampig ausgefüllte Papier eines Doktor Roth bestätigte, was Kommissar Brom ihr mitgeteilt hatte. Mit dem Totenschein in der Hand führte sie einige Telefongespräche und besorgte sich Formulare aus dem Internet. Meike und Dora, die freihatten, begleiteten sie auf das Amt, wofür Sophie dankbar war. Die Bestätigung der Todesanzeige durch die Behörden brachte die endgültige Gewissheit, dass ihr Vater tot war, vertrieb die letzten Zweifel und die stille Hoffnung, dass alles nur ein böser Traum war, aus dem sie irgendwann aufwachen würde.
Auf den Weg zu Doras Wohnung brach sie in Tränen aus. Das Gefühl der bleiernen Schwere, das auf ihrer Seele lastete, ließ sie spüren, dass sie ihren Vater trotz aller Konflikte und Unstimmigkeiten geliebt hatte. Sie vermisste ihn.
Umso eifriger ging sie ans Werk, die Beerdigung zu organisieren. Sie schnappte sich das Telefonbuch und suchte nach Bestattungsunternehmen.
Bevor sie einen Anruf getätigt hatte, kam ihr ein übereifriger Unternehmer zuvor. Er stellte sich als Herr Julius vor, vom Bestattungsunternehmen Julius & Co. Sophie wunderte sich, woher er von dem Todesfall wusste. Doch als der Bestatter sich glaubhaft als guter Freund ihres Vaters zu erkennen gab und versprach, sich kostenlos um die Beerdigung und alles andere zu kümmern, verflog ihr Misstrauen. Da ihr Vater kein Vermögen hinterließ und sie ständig in Finanznot, nahm sie das Angebot erleichtert an.
Und so brach ein weiterer schwerer Tag in ihrem Leben an. Sie stand früh auf, duschte und zwang sich, eine Kleinigkeit zu frühstücken, damit sie die Zeremonie irgendwie überstand. Dora war jede Minute für sie da und auch Meike hatte sich freigenommen, um ihr in dieser schweren Stunde beizustehen.
Dennoch fühlte sich Sophie wie der einsamste Mensch der Welt.
So sehr sie ihre Freundinnen schätzte, mit ihrem Vater trug sie das letzte Mitglied ihrer Familie zu Grabe. Ein Vater, zu dem sie, wenn auch begrenzt, Kontakt gehabt hatte. Zwar gab es noch irgendwo eine Tante oder einen Cousin und weitere entfernte Äste des Stammbaums, doch die Verbindungen waren lange abgerissen. Woran die Eigenarten ihres Vaters nicht unschuldig waren. Viele hatten ihn für einen komischen Kauz gehalten. Besonders jene, die wussten, welcher Bestimmung er nachging. Für andere war er ein Stadtstreicher. Seit ihrer eigenen Begegnung mit Vampiren sah sie vieles anders.
„Wie geht es dir?“, fragte Meike, als sie in Doras Wagen stiegen.
„Als müsste ich mich jeden Augenblick übergeben.“ Sie sank auf die Rückbank, schaute aus dem Fenster, um den Blicken ihrer Freundinnen zu entgehen. Am liebsten wäre sie ausgestiegen und davongerannt. Sie fürchtete sich vor dem Moment am Grab, vor dem letzten und endgültigen Abschied. Das Schlimmste war das Gefühl der Schuld, ihren Vater sein ganzes Leben allein gelassen, ihm nicht geglaubt zu haben. Das konnte sie nun nicht wieder gut machen. Verdammter Mist!
Auf dem Parkplatz des Zentralfriedhofes empfing sie Franz Julius vom Bestattungsinstituts. Der alte, weißhaarige Herr wirkte vertrauenerweckend. Auf den ersten Blick hatte er gute Arbeit geleistet und Sophie war überrascht, wie viele Menschen zur Beerdigung gekommen waren.
„Wie
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