Blutjägerin (German Edition)
diesen Kopf zu ersetzen.
Die Gesellschaft versammelte sich vor dem Eingang der Kirche. Jonathan mischte sich unter die Trauergäste. An der Spitze stand eine junge, in Schwarz gekleidete, Frau. Groß und schlank, mit schulterlangem, kastanienbraunem Haar. Wie das Holz eines teuren Möbelstücks. Ihre weiblichen Rundungen riefen ein Verlangen in seiner Leistengegend hervor, das im Moment ungelegen kam. Er faltete die Hände vor dem Schoß wie einer der Gläubigen.
Sophies blasses Gesicht wirkte wie weißes Porzellan, zart und zerbrechlich. Je länger er sie betrachtete, desto unbändiger wollte er sie. Das musste Richters Tochter sein.
Das Gespräch mit Herrn Julius hatte Sophie abgelenkt. Seine Aussage, Vater habe an seiner Motivation gezweifelt, sie zur Jägerin zu machen, nahm ihr eine Last von der Seele. Gott, warum hatte er nie etwas gesagt? Es hätte so vieles geändert.
Ihr wurde schwer ums Herz, als sie an Doras und Meikes Seite die Kirche mit dem aufgebahrten Sarg vor dem Altar betrat. Kränze und Bänder bedeckten den kunstvoll gestalteten Kasten aus Edelholz. Es tat weh. Sie sank auf die Bank, die Stimmen verschmolzen zu einem hallenden Klang. Ihr Blick ruhte auf dem Sarg. So sehr sie sich anstrengte, an einen glücklichen Moment mit ihrem Vater zu denken, sie fand keinen. Sie erinnerte sich nicht mal daran, dass er jemals von Herzen gelacht hätte, weder,als sie ein Kind war noch später.
Während der Priester seine Predigt hielt, versank sie tiefer in ihren Gedanken. Sie dachte an die Beerdigung von Mama, deren Tod. Dann schweiften ihre Erinnerungen zurück in die Schulzeit, ihre Jahre im Gymnasium. Die Tochter des Stadtstreichers hatten manche sie genannt. Sie hatte sich immer eingeredet, dass es ihr egal sei, doch es hatte sie getroffen, sie geprägt. Sie konnte nicht ihr ganzes Leben vor ihrer Vergangenheit davonlaufen. Noch vor ein paar Tagen hatte sie geglaubt, endlich das Leben zu führen, das sie immer gewollt hatte. Vaters Tod ließ sie zweifeln, warf die Frage auf, ob ihre Bestimmung nicht doch darin lag, in den Orden zurückzukehren, um jene zu jagen, die ihre Familie zerstört hatten. War sie dazu überhaupt in der Lage? War sie stark genug?
Gerald parkte seinen Wagen weit abseits und ging die letzten Meter zu Fuß zur Friedhofsgrenze. Er musste verrückt sein. Am helllichten Tag hierherzukommen, der Beerdigung eines Jägers beizuwohnen, grenzte an Dummheit. Nein, es überschritt diese Grenze mehr als deutlich. Obwohl er sich den Versammelten nicht nähern würde, sondern die Vorgänge vom Zaun aus beobachteten wollte, war ihm bewusst, dass es trotz des langen schwarzen Mantels und der Sonnenbrille einige Leute geben würde, die ihn auf der Stelle erkennen und alles daransetzen würden, ihn zu töten.
Er lehnte sich gegen einen Baum. Der Himmel war bedeckt. Dennoch spürte er, wie das Tageslicht auf seiner Haut brannte, als würde ihm jemand glühende Kohlen ins Gesicht drücken. Es würde einiger Phiolen Blut bedürfen, seine Blödheit zu kurieren.
Die Trauergesellschaft versammelte sich um ein geöffnetes Grab. Sophie stand bleich wie ein Blatt Papier davor. Der Sarg glitt in die Tiefe.
Gerald stand mehrere hundert Meter entfernt und trotzdem nahm er die feinen Nuancen ihres einzigartigen verführerischen Duftes wahr. Wie eine Droge strömte das feine Aroma von wilden Kräutern und Gewürzen durch seinen Körper, erfüllte ihn mit Verlangen und Euphorie, fegte die Leere hinweg und gab seinem Leben wieder Sinn.
Er strich sich über die heiße Stirn. Sein Blick schweifte über die Versammelten. Es waren alte Jäger, Überbleibsel einst mächtiger und reicher Orden. Ein Anruf hätte genügt, um mit Clement und den anderen beiden in Wien stationierten Agenten das Problem der Jägergilden für längere Zeit aus der Welt zu schaffen.
Jedoch widersprach es seinem Ehrenkodex, den heiligen Moment der Trauer vor dem Grab eines Gefallenen auszunutzen. Außerdem konnte er nur schwer abschätzen, welche Aufmerksamkeit ein derart offener Angriff bei Tageslicht erregen würde. Es war ein unkontrollierbares Risiko.
Er studierte die Gesichter der Jäger, rief sich ihre Namen in Erinnerung, und dokumentierte seine Eindrücke mit einem Diktiergerät, um sie später in der Agentur mit den existierenden Aufzeichnungen abzugleichen. Ihm fiel jemand auf, der nicht zu dem Rest der Anwesenden passte. Der Mann, der durch die Gesellschaft schritt und Gespräche mit einzelnen Ordensmeistern
Weitere Kostenlose Bücher