Blutjägerin (German Edition)
Kaffeeflirt daraus werden konnte. Er hatte gespürt, wie sie auf ihn reagierte, wie sich ihr Puls beschleunigte und die Hitze ihres Verlangens die Kälte der Trauer vertrieb.
Sie fühlte wie er.
Doch hätte sie gewusst, wer er war, hätte sie vermutlich keine Sekunde gezögert, ihm ihren Säuredolch in die Brust zu rammen und in seiner jetzigen Verfassung hätte er sich nicht einmal gewehrt.
Warum quälte er sich, indem er jeden Moment ausnutzte, um in ihrer Nähe zu sein? Mehr als es für seinen Auftrag notwendig war.
Er wartete, bis die Trauergäste abgezogen waren und Sophie in einen Wagen stieg. Dann machte er sich auf den Weg zurück in die Agentur. Er brauchte Blut und vor allem ein paar Stunden Schlaf. Er erinnerte sich kaum, wie lange sein letzter Vampirschlaf zurücklag. Es mussten Wochen sein. Er kam lange ohne Schlaf aus, doch irgendwann kam auch seine Rasse nicht darum herum. Dann verfielen sie für einige Stunden in einen Zustand, aus dem sie kaum zu wecken waren. Vielleicht kam er so wieder auf vernünftige Gedanken. Schlaf reinigte den Geist.
Das Essen in der kleinen Gaststätte endete am späten Nachmittag. Sophie verabschiedete sich von ihren letzten Gästen und bedankte sich bei Herrn Julius für seine Arbeit.
„Ich werde Wilhelm bitten, ins Hauptquartier zu kommen“, versprach er ihr auf dem Weg zum Wagen.
Dora fuhr sie nach Hause. Sie sehnte sich nach ihrem Bett. Seit ihrem Treffen mit Gerald auf dem Friedhof hatte sie keine Angst mehr, in ihre Wohnung zurückzukehren. Die Ruhe, die sie in seiner Nähe verspürt hatte, schenkte ihr Zuversicht und sie vertraute nun auch seinen Worten aus jener Nacht, in der er sie vor den Vampiren gerettet hatte. Diese Kerle würden nicht zurückkommen. Vielleicht war dieses blinde Vertrauen naiv, dennoch empfand sie so.
Vor dem Wohnhaus war alles ruhig. Die Spuren, die Geralds Wagen im Rasen hinterlassen hatte, waren verschwunden, und als sie nach oben fuhr und ihre Wohnung betrat, fand sie auch hier alles am rechten Platz.
Sophie schloss ab und warf ihre Tasche ins Schlafzimmer. Sie war nur wenige Tage fort gewesen, trotzdem schien es ihr, als seien Wochen vergangen, seit sie ihr kleines Reich fluchtartig verlassen hatte. Es dauerte etwas, bis sie wieder das Gefühl hatte, zu Hause zu sein.
Das Trauergefühl hatte sich in eine Ecke zurückgezogen, die Eindrücke des Tages überlagerten alles. Sie war erschöpft und ausgeweint, ihre Emotionen wichen einer komfortablen Leere, die sie wie Balsam hinnahm. Abschalten. Nicht mehr denken und grübeln. Das tat gut.
Kurz nach neunzehn Uhr erreichte sie ein Anruf von Herrn Julius. Wilhelm sei mit Video im Gepäck auf dem Weg zum Hauptquartier. Eilends rief sie sich ein Taxi und fuhr hin.
Der Zugang zum Hauptquartier des Jägerordens lag in einem Haus in der Nähe des Burgtheaters. Nur die silberne Figur eines Hofnarren, die unscheinbar im Windfang des Hauseinganges hing, wies darauf hin, was sich hinter dem alten Gemäuer verbarg, das bald ihr gehören würde. Der Gedanke, dies alles hier zu besitzen, erschien ihr noch immer unwirklich. Sie hatte keine Ahnung, wie sie damit umgehen sollte. Am liebsten hätte sie das Erbe abgelehnt, um ihr normales Leben weiterzuführen. Doch sie konnte nicht. Allein, daran zu denken, war, als verriete sie ihren Vater. Wenn sie ehrlich war, musste sie gestehen, dass sie dieses Erbe nicht nur seinetwegen annehmen musste. Auch für sich, um die Erinnerungen an einen der Orte, an denen sie aufgewachsen war, zu bewahren und einen Neuanfang zu wagen, indem sie nicht mehr vor ihren Problemen davonrannte. Sie musste endlich beginnen, ihre Vergangenheit aufzuarbeiten und sich darüber klar zu werden, was sie wollte. Herausfinden, wo ihr Platz in diesem Leben war. Und falls sie zu der Erkenntnis kam, dass ihre Bestimmung darin lag, Vampire zu jagen, dann war es so undsie würde sich nicht dagegenstellen.
Die Lage des Hauptquartiers auf der Rückseite des prächtigen Burgtheaters war einst dafür verantwortlich, dass sich ihre Eltern gefunden hatten. Ihre Mutter hatte ihr Engagement am Wiener Burgtheater angetreten, als junge, aufstrebende Sängerin und Schauspielerin, deren Talent Kritiker in höchsten Tönen lobten. Die Männerwelt lag ihr zu Füßen und in der High Society Wiens stand sie hoch im Kurs. Sie war eine der begehrtesten Junggesellinnen. Ihre Mutter ließ allerdings alle Bewerber abblitzen und konzentrierte sich ganz auf die Karriere.
Eines Abends, während einer
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