Blutjägerin (German Edition)
Keuchen.
Fröstelnd betrachtete Sophie die Leiche. Das wässrige Blut, das verdünnter Farbe glich und darauf hindeutete, dass die Frau lange kein Blut getrunken hatte, sickerte in die dünne Schneeschicht und breitete sich rasch auf dem Boden aus.
Sophie empfand weder Freude noch Schmerz. Leere breitete sich in ihr aus. Wie mechanisch gesteuert hob sie den Dolch auf, wischte ihn im Schnee ab und ließ ihn wieder in der Handtasche verschwinden.
Dann wandte sie sich der Straße zu, eilte im Laufschritt zum Tor. Ihr Wagen wartete vereinsamt in der Mitte des Parkplatzes. Sie machte sich nicht die Mühe, das Tor abzuschließen, rannte zu ihrem Auto, stieg ein und startete den Motor. Die Scheinwerfer erhellten den Parkplatz, fielen über das Friedhofstor. Dahinter lag der leblose Körper der Vampirin. Für einen Moment schloss Sophie die Augen. Der Anblick war erschreckend, aber auch surreal. Sie atmete tief ein und ihre Hände schlugen wie von allein auf das Lenkrad, bis sie Tränen auf den Wangen spürte.
Hunderte Gedanken schossen durch ihren Kopf. Egal, ob Mensch oder Vampir, sie hatte diese Frau umgebracht, kaltblütig ermordet. Was sollte sie nun tun? Sie konnte den Leichnam nicht einfach zurücklassen und mit ihren Freundinnen essen gehen als sei nichts geschehen.
An ihren Fingern klebte noch das Blut, das nicht menschlich war. Sophie nahm ein Taschentuch aus der Handtasche und wischte sich die Hände ab. Doch damit war es nicht getan.
Sie musste zu ihrem Vater. Er wusste, was zu tun war und als hätte er ihre Gedanken gehört, läutete das Handy. Es war der Klingelton ihres Vaters. Doch als sie abhob, war es nicht seine Stimme, die sich am anderen Ende der Leitung meldete.
Selbst das offene Feuer im Kamin vermochte nicht die Kälte zu verdrängen, die bis in den letzten Stein des alten Gemäuers kroch. Doch es war nicht nur die Kälte, welche die Vorstadtvilla in Besitz genommen hatte, auch Verfall machte sich breit. Im Zimmer roch es schwer nach Feuchtigkeit. Putz und Rahmenwerk der Wände, das einst kunstvoll geschwungene Ranken darstellt hatte, bröckelten an unzähligen Stellen. Die Farbe der Türen blätterte und die Parkettböden warfen Wellen.
Die Einrichtung bestand aus Möbeln im Biedermeier- und Jugendstil. Sie stammten aus der Zeit vor mehr als hundertfünfzig Jahren, als er mit den Überlebenden seines Clans aus Belgien nach Wien geflohen war. Der klägliche Überrest des einstigen Reichtums seiner Familie erinnerte ihn jedes Mal aufs Neue daran, wie es um seinen Clan stand.
Gerald Vermont saß im Lehnstuhl vor dem Kamin und lauschte dem Knistern und Knacken des Holzes, das gierige Flammenzungen verschlangen. Er kam nur selten her, zu selten für seinen Geschmack. Was ein Grund dafür war, dass die Villa immer weiter verfiel. Auf eine beinahe unheimliche Weise spiegelte der Zustand dieses Ortes sein Inneres wider. Die Villa diente ihm als ein Ort des Rückzugs und der Ruhe, um nachzudenken und für einige Stunden seiner Bürde zu entfliehen.
Die meiste Zeit verbrachte er in der Sicherheitsagentur, die im Westen Wiens lag. Als vom Vampirrat bestimmter Oberbefehlshaber über alle Agenturen agierte er rund um den Globus. Es war seine Aufgabe, die Agenten zu dirigieren und für die Einhaltung der Gesetze seiner Rasse zu sorgen. Nicht selten führte ihn das von einem Kontinent zum nächsten, um sich vor Ort um die größeren Probleme zu kümmern. Letztere häuften sich in den vergangenen Monaten und machten es praktisch unmöglich, dafür zu sorgen, dass die Existenz seines Volkes unentdeckt blieb. Was vor allem daran lag, dass viele Vampire, besonders jene der jüngeren Generation, gegen ihn und die Agenten arbeiteten, indem sie bewusst Gesetze brachen, den Vampirrat provozierten. Kurz gesagt, es war ein Traumjob mit jeder Menge Freizeit und kreativen Gestaltungsmöglichkeiten.
Gerald griff nach der Kristallphiole auf dem Beistelltisch. Das glatte Gefäß in Form einer Tänzerin war angenehm warm und enthielt die Flüssigkeit, die jeder Vampir über kurz oder lang zum Überleben brauchte. Er schraubte die Kappe ab und trank einen großen Schluck des warmen Blutes. Dass der Inhalt nicht abkühlte, lag an der besonderen Gestaltung des Gefäßes, das in mehreren Schichten aus Glas, Metall und isolierenden Vakuumkammern aufgebaut war. Langsam ließ er den roten Lebenssaft auf der Zunge zergehen wie teuren Wein. Dabei wartete er auf den Moment, in dem die Energie des Blutes auf ihn
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