Blutjägerin (German Edition)
Etwas Furchtbares war hinter dieser Tür geschehen.
Alles in ihr sträubte sich, diesen Augenblick noch einmal zu erleben. Ihr würde nicht gefallen, was sie hinter dieser Tür erwartete. Nicht umsonst hatte etwas sie so lange vor dieser Erinnerung bewahrt. Was es war, wusste sie nicht, aber es verlor an Kraft. Kurz bevor sie die Tür erreichte, verschwamm der Traum erneut. Wie ein Blitzlichtgewitter drangen Eindrücke und Geräusche auf sie ein. Wimmern und Schmatzen, Blut, Gelächter. Geralds Gesicht tauchte auf, genauso wie das ihres schreienden Vaters.
Ihre Hand wog schwer, als sie nach der Türklinke griff. Die unsichtbare Blockade versuchte noch immer, gegen ihren Drang nach der Wahrheit anzukämpfen. Mit letzter Kraft fasste sie nach dem Türgriff, stemmte sich gegen die Tür und stolperte in das Bühnenhaus.
Zahlreiche Scheinwerfer an Decke und Wänden erhellten die weitläufige Halle hinter der Bühne. Requisite, Stell- und Dekorationsstücke lagerten hier. Über ihrem Kopf erstreckte sich ein Dschungel aus Seilen und Ketten. Ein Bühnenhimmel verdeckte die Bühne.
Schmatzen und Grunzen drangen an ihre Ohren. Erneut vermischte sich der Traum mit heraufblitzenden Bildern. Sie starrte in das Gesicht ihres gebrochenen Vaters, sah Gerald, der sich ihr entgegenbeugte, mit ausgestreckter Hand. Das Bild verschwand wieder. Unruhe erwachte. Ihr Herz schlug heftig, als sie sich der Bühne näherte. Heiß und kalt lief es durch ihre Venen. Ein süßlicher Gestank lag in der Luft und etwas metallisches, wie Wasser auf rostigem Stahl.
Dann erblickte sie ihn. Wie eine riesige Bestie mit zottigen Haaren und mächtigen Reißzähnen stand der Vampir über den zierlichen Körper ihrer Mutter gebeugt, der leblos in dessen Armen hing. Blut tropfte von seinen Lippen. Schmatzend trank er aus der Wunde. Immer wieder schlug er die Fänge in die tiefe Wunde, als könne er nicht genug bekommen vom Geschmack des Blutes. Der Körper in seinen Armen zuckte und ein leises Wimmern war zu hören.
Ihr Magen revoltierte bei diesem Anblick und ihre Knie wurden weich. Sie wollte ihrer Mutter zu Hilfe eilen. Etwas in ihr sagte aber, dass es zu spät war. Die Bestie blickte auf, starrte sie an. Plötzlich veränderte sich das Gesicht des Vampirs und sie blickte in Geralds. Er lächelte und doch klebte überall in seinem Gesicht Blut. Aber das konnte nicht sein. War er es? Hatte er ihre Mutter ermordet?
Etwas an dieser Version kam ihr nicht richtig vor. Doch gleichzeitig erschien es ihr einwandfrei. Wieder brach ein Blitzgewitter über sie nieder. Sie spürte Geralds Hände, hörte seine Stimme, sie solle alles vergessen. Er hatte ihr die Erinnerung genommen.
Vergebenes versuchte sie, nach einem Gedanken zu greifen, der ihr immer wieder entschlüpfte und dann entglitt ihr der Traum und sie versank in Dunkelheit.
Gerald läutete und klopfte an Sophies Tür, rief ihren Namen, und als sie nicht öffnete, betätigte er das Schloss mithilfe seiner Telekinese.
Obwohl er sie weder roch noch fühlte, blickte er in jeden Raum. Sie musste ihm gefolgt sein. Er hätte nicht seinen Gefühlen nachgeben dürfen und abhauen.
Wieder ein Fehler. Langsam ließ er nach und sollte sich pensionieren lassen. Sophie war der Schlüssel zu seinem Bruder, und wenn ihr etwas zustieß, würde womöglich auch Clement verloren sein.
Das kurze Eintauchen in ihre Gedanken hatte ihm nicht gezeigt, wo der Raum lag. Er war mit Sicherheit in einem Quartier des Jägerordens. Gerald wusste jedoch nicht, wo es sich verbarg. Die Jäger hielten diese Orte geheim und schützten das Wissen, indem sie es durch Hypnose blockierten. Eine Finte, welche sie bereits seit Jahrhunderten einsetzten, um sich gegen die Fähigkeiten des Gedankenlesens zu wehren. Wie konnte er diese Finte umgehen?
Eine vage Idee kam ihm. Sophie hatte nach dem Tod ihres Vaters sein Vermögen geerbt. Es war ein Strohhalm, an den er sich klammerte, noch dazu ein dünner, aber er musste es versuchen. Um an diese Art von Daten um diese Zeit heranzukommen, musste er zurück in die Agentur. Nur der Zentralcomputer verfügte über Möglichkeiten, auf die Grundbuchaktivitäten zurückzugreifen. Da die Orden auch hier schlau agierten und die Besitzer jeweiliger Liegenschaften nur mit einem Pseudonym nannten, das lediglich einem kleinen Kreis bekannt war, hatte er nur eine winzige Chance. Zumindest fand er vielleicht heraus, wer der Notar war, der sie beraten und die Abwicklung des Erbes durchgeführt
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