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Blutkirsche

Blutkirsche

Titel: Blutkirsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudrun Weitbrecht
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erreicht. Ja, sie würde bald nach Hause fahren, mit ihrer Mutter gemütlich Kaffee trinken und heute Abend in aller Ruhe ausgehen.
    Wenn sie jetzt anrief und einen Tisch bestellte, war vielleicht noch etwas frei.
     
    Der Sonntagnachmittag zeigte sich mit seiner besten Seite. Die Sonne schien, und ausnahmsweise hielt das Wetter, trotz angesagtem Regen. Auf dem Terrassentisch unter dem Sonnenschirm standen noch die Tassen und die Kaffeekanne. Magda Wieland hatte sich für ein kleines Mittagsschläfchen hingelegt.
    Anne holte einen Liegestuhl aus dem Keller und stellte ihn auf die Wiese unter einen uralten, mit Schrunden und Narben übersäten Kirschbaum. Sie konnte die Reifenspuren des Anhängers, in dem der Efeu abgefahren worden war, im Gras deutlich sehen. Dabei hatte sie den Rasen erst vor kurzem neu eingesät.
    Als sie einzog, befand sich der Garten in einem erbarmungswürdigem Zustand, es war ein Giersch-Acker. Das üble Unkraut hatte sich überall breitgemacht und überwucherte Beete und Wiese. „Giersch kann man wie Salat essen“, erklärte ihre Mutter den Wildwuchs. Anne musste lachen: „Da werden wir bis in alle Ewigkeiten viel Salat essen können.“
    |75| Aber das Unkraut musste weg. Der Kostenvoranschlag eines Gartenbaubetriebes, der die oberste Schicht Erde vollkommen abtragen und neue Erde einbringen wollte, hätte ihren Geldbeutel deutlich schrumpfen lassen, ihre Rücklagen angegriffen. Außerdem wäre es nachher ein Ruinenfeld und die Bepflanzung hinüber gewesen.
    Als sie anfing, die Erde Quadratzentimeter für Quadratzentimeter umzuwälzen, kam sie sich wie eine Archäologin in Ägypten beim Ausgraben eines Pharaos vor. Manchmal fand sie einen Grenzstein, alte Geldstücke aus dem Kaiserreich, ein Hakenkreuz. Aber ihr wertvollster Fund, der unter dem Kirschbaum zutage trat, war die verrostete Eisenkassette mit dem sechsunddreißigteiligen Tafelbesteck aus Sterlingssilber. Als sie das Behältnis ihrer Mutter zeigte, reagierte Magda Wieland zuerst verlegen, tat dann überrascht. „Das hat dein Vater bei Kriegsende versteckt. Ich habe später danach gesucht, aber nichts gefunden.“
    Magda säuberte die Kassette, auf der zwei ineinander verwobene Dreiecke hervortraten. Anne kam das Symbol merkwürdig vor, das Behältnis stammte sicher nicht aus dem Familienbesitz, aber vielleicht hatte ihr Vater es damals mitsamt dem Besteck jemandem abgekauft. Ihre Mutter putzte das schwarz angelaufene Silber und verstaute die Funde in ihrem, mit chinesischen Intarsien versehenen, schwarz lackierten Mahagonischrank. Als Anne nachdenklich bemerkte: „Vielleicht grabe ich ja noch das Bernsteinzimmer aus, wer weiß?“, verzog ihre Mutter das Gesicht und verschloss hastig den Schrank.
    Der Fund blieb einzigartig. Anne zog später nur noch die Würzelchen des Gierschs heraus und rekultivierte die Beete mit frischem Kompost. Inzwischen waren unzählige Arbeitsstunden zusammengekommen. Ganz zu Anfang hatte sie als Ziel, nur im Liegestuhl zu liegen, zu relaxen, auszuruhen, höchstens zu lesen. Aber jedes Mal, wenn sie sich setzen wollte, griente der Giersch sie an. Und so nahm sie Schaufel, Forke und Unkrautstecher in die Hand, legte eine Schaumstoffmatte unter ihre Knie und arbeitete sich Stück für Stück vorwärts. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen. Aus dem Ackergrundstück wurde ein Garten, der den Namen verdiente und in dem sie sich gerne aufhielt.
    Sie nickte kurz ein, als sie die Stimme ihrer Mutter hörte: „Anne, kommst du mal?“
     
    Als Anne durch die Küchentür das Haus betrat, kam ihre Mutter aufgeregt auf sie zu. „Überraschung! Stell dir mal vor, wer gekommen ist!“, rief sie.
    |76| „Meine Fantasie macht gerade Mittagspause“, entgegnete Anne, die nur widerwillig aufgestanden war.
    „Sieglinde ist da!“
    „Sieglinde? Weshalb?“, fragte Anne und runzelte die Stirn. Das war tatsächlich eine Überraschung. Hoffentlich keine böse, überlegte sie. Im Wohnzimmer saß ihre Schwester. Um Himmelswillen, fuhr es Anne erschrocken durch den Kopf. Sie hatte Sieglinde zwei Jahre lang nicht gesehen. Ihre Schwester war immer schlank gewesen, aber nun extrem abgemagert. Im Gegensatz dazu wirkte das Gesicht teigig aufgequollen. Trotz Schminke konnte Anne die roten Äderchen auf den Backen erkennen.
    Ihre Schwester trank, und das nicht erst seit heute und nicht zu wenig. Die Alkoholiker, die regelmäßig zum Ausnüchtern in die Zellen zur Hahnemannstraße verfrachtet wurden, sahen ähnlich aus.
    „Tut

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