Blutkirsche
über die einzelnen Parzellen, Bezahlte Jahresrechnung der Pächter, Abgaben an die Stadt, Kaufbelege, Versicherungen, Reparaturkosten am Vereinsheim, Kosten für die Wasserleitung, Anzahlungen, Feste, Besondere Ausgaben und Persönliche Aufwendungen − all das war alphabetisch eingeordnet. Sie vertiefte sich in die Belege und machte Notizen, als die Tür aufging und Dezernatsleiter Berger den Raum betrat.
„Grüß Gott, Anne! Du bist allein? Gut, ich wollte sowieso etwas mit dir sprechen. Wir können das dann ja hier machen oder sollen wir in mein Büro gehen?“
„So offiziell wird es wohl nicht sein, oder doch?“, fragte Anne.
Berger stotterte herum. „Wie soll ich es nur sagen? Anne, also:
Deine Bewerbung als Dezernatsleiterin konnte leider nicht berücksichtigt werden. Die Stelle wurde an jemand anderen vergeben. Du bekommst aber noch schriftlich Bescheid.“
„Wie? An jemand anderen? An wen denn? Du hast mich doch empfohlen!“ Anne versuchte ihre Stimme vor Aufregung nicht zittern zu lassen.
|73| „Es kommt jemand von außerhalb, aus Göppingen, Kriminaloberrat Münch kriegt die Direktorenstelle. Ich habe versucht, deine Bewerbung zu protegieren, aber das Innenministerium wollte einen Mann. Außerdem hättest du die A15-Gehaltsstufe vorzeitig erreicht. Es tut mir leid.“
Berger schien ehrlich betroffen zu sein, jedenfalls schien es Anne so. Eigentlich hätte sie es sich denken können. Trotz des Gleichstellungsgesetzes wurden Frauen viel seltener in höhere Positionen befördert. Klar gab es einige Quotenfrauen, aber die konnte man an der Hand abzählen.
„Okay, danke, dass du dich für mich eingesetzt hast.“ Anne versuchte ihre Enttäuschung zu verbergen.
„Also, ja, ich bin dann mal fort. Wie ich sehe, hast du eine Menge zu tun. Wie sieht es denn mit dem Fall aus? Ach übrigens, morgen kriegt ihr Verstärkung, Frau Grimm von Dezernat 3 kommt zu euch.“
Anne stand auf und zeigte auf die Fotos an der Pinnwand. In kurzen Sätzen erklärte sie ihrem Vorgesetzten die Fakten und was bisher an Ermittlungen anlief.
„Aha, Gartenzwerge!“, bemerkte Hubert Berger belustigt und ging wieder. Nun schien er es eilig zu haben.
Erst jetzt sah Anne, dass die Spurensicherung beim Fotografieren des Opfers die Gartenzwerge mit aufgenommen hatte. Sie bewachten den Toten im Schrebergarten wie die Terrakottasoldaten des chinesischen Kaisers Qín.
Als Berger gegangen war, musste sie sich setzen. Ihre Knie fühlten sich ganz weich an. Die Absage war wie ein Schlag in die Magengrube gewesen. Bisher verlief ihre Karriere reibungslos, sie war fleißig, und ihre Aufklärungsquote lag weit über dem Durchschnitt. Dafür hatte sie auch schwer geackert und viele Überstunden angehäuft. Aber es hatte anscheinend nicht genügt.
Das Telefon klingelte. „Hier Mauser, Kriminaltechnik, Frau Wieland?“
„Ja, was gibt’s?“
„Wir untersuchen gerade den Laptop, den die Spurensicherung uns gestern vorbeigebracht hat. Leider sind wir noch keinen Schritt weiter, er ist durch ein Passwort gesichert. Das Handy genauso.
Wir versuchen, vom Provider Auskunft zu bekommen, allerdings ist heute Sonntag, da arbeiten die anscheinend nicht, jedenfalls sind wir laufend in der Warteschleife. Auf unsere Mail haben sie auch noch nicht geantwortet.“
|74| „Okay, dann weiß ich Bescheid. Wegen des Computers – falls Sie ihn nicht knacken können, ich hätte da jemanden, meinen Mitarbeiter Marco Schneller, der ist da ein wahres Genie drin.“
„Von mir aus, wenn wir bis morgen noch nicht weiter sind, kann er es mit dem Rechner versuchen, es dient ja der Sache. Wir haben da kein Problem mit. Wir schicken jemanden rüber mit dem Teil.“
„Schön, danke“, antwortete Anne. Also bis morgen noch damit warten. So lange würde sie die Papiere durchsehen.
Wieder klingelte das Telefon.
„Chefin, hier Marco. Es hat länger gedauert, als ich dachte. Der Zug aus Leipzig hatte mal wieder fast eine Stunde Verspätung. Ich musste meine Mutter in alles einweisen und das Baby beruhigen. Es merkt, dass Melanie nicht da ist, aber jetzt komme ich.“
„Du brauchst nicht mehr zu kommen, es lohnt sich nicht mehr, ich mache auch bald Schluss!“ Annes Entscheidung stand fest. „Ruh’ dich aus, wir sehen uns morgen!“
Als sie das Telefon auflegte, wurde sich Anne bewusst, dass sie eine solche Entscheidung vor dem Gespräch mit Kriminaldirektor Berger nie getroffen, sondern Marco noch hergebeten hätte. Ihre Frustrationsgrenze war
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