Blutkirsche
das Leben zur Hölle gemacht hätte.
Ganz zu Anfang vertrugen sie sich. Es schien sich sogar eine Freundschaft zu entwickeln. Kohl hatte Mike wegen seines Computers um Hilfe gebeten: Er wäre ganz verzweifelt, weil alle wichtigen Dateien des Vereins nicht mehr abrufbar seien. Mike konfigurierte und richtete den Laptop neu ein. Später saß er mit Harry bei einem Glas Wein zusammen, und dieser berichtete ihm von seinen Erlebnissen als Pharmavertreter. Mike erzählte von seinen Reisen nach Fernost und den USA, die er für seinen Arbeitgeber früher öfter unternommen hatte. Eine Zeit lang verlief alles friedlich. Erst als Harry erkannte, dass hier ein nonkonformer Freigeist die gewohnte Ordnung des Kleingartenvereins gefährden konnte, hatte er angefangen, Mike auf die übelste und primitivste Art zu drangsalieren. Schließlich eskalierte die Sache, als Mike seine Pagode aufstellen ließ. Aber zu diesem Zeitpunkt konnte Mike nicht mehr zurück |110| und nachgeben. Die Fronten hatten sich verhärtet. Der Krieg über den Gartenzaun schwelte weiter.
Mike überlegte: Wie konnte er diesen Kohlkopf in die Schranken weisen und ein für alle Mal seine Ruhe haben?
Irgendeine Schwachstelle, in dem so nach außen hin perfekten Leben von Harry, irgendeine Leiche musste der doch im Keller haben! Wenn er diese finden würde, könnte er seinen Vorsitzenden sanft darauf hinweisen – das Wort erpressen ging Mike zu weit – und dieser Streit, der ihm so tierisch auf die Nerven ging, würde aufhören.
Vor drei Wochen hatte Mike die Chance ergriffen, endlich dem Spuk ein Ende zu machen.
Am Häckseltag – der Verein hatte dazu extra einen riesigen Häcksler bestellt und die Pächter konnten ihren Baumschnitt zerkleinern lassen (natürlich war dies eine Gemeinschaftsarbeit) – hörte Mike am Parkplatz, wie Harry den anderen Gärtnern erzählte, er müsse zuerst den Laptop in seinem Häusle abstellen. Danach käme er zurück, um das Ganze zu überwachen. Woraufhin einige Arbeitswillige höhnisch die Marseillaise ansangen, aber verstummten, als Harry sie strafend anblickte. Gleich darauf drehte sich das Messer der Maschine mit unglaublichem Krach und zertrümmerte die ersten Äste.
Mike war nicht eingeteilt, zu helfen. Er wartete in seiner Parzelle, bis Harry wieder von seinem Gartengrundstück in Richtung Häcksler ging. Dieser stand auf einem freien Platz auf dem Weg zur Insel, neben einem ausgetrockneten Bachbett.
Die Zeit, in der Harry hin- und zurücklaufen und beaufsichtigen würde − also mindestens noch eine halbe bis ganze Stunde, wenn nicht sogar zwei − würden reichen! Ohne zu überlegen, nahm Mike sich ein Herz und ein Brecheisen, stemmte die Laubentür auf. Er schaltete den Computer ein – das Passwort hatte Harry ihm ja anvertraut, als er ihm bei seinem Problem half − und es auch bisher nicht geändert. Mike rief den Ordner, Verein Kirschblüte‘ auf und steckte seinen USB-Stick in die Buchse.
Als er herunterlud, überlegte er, ob er nicht sämtliche Dateien auf Harrys Computer verwerten sollte, verwarf es dann aber. Das würde zu lange dauern. Erwischen lassen wollte er sich bestimmt nicht. Schnell schaltete er den Rechner aus und richtete ihn genau so wieder hin, wie er ihn auf dem Tisch vorgefunden hatte. Als er zurück in seinen Garten eilte, fiel ihm ein, dass er dummerweise vergessen hatte, Latex-Handschuhe anzuziehen und dass nun seine Fingerabdrücke an der Tür und auf dem |111| Gerät waren. Einem Berufseinbrecher wäre so ein Fehler nicht passiert! Schon wollte er umdrehen, um sie abzuwischen, da hörte er nebenan den Vorsitzenden so laut fluchen, dass Mike es trotz seines tauben Ohres hören konnte. Harry hatte den Einbruch entdeckt. Bevor die Streifenpolizisten auftauchten, schlenderte Mike schon ganz gemütlich, ohne sich etwas anmerken zu lassen – wie einer, der im Dunklen pfiff – zu seinem Auto und fuhr nach Hause.
Später erzählte ihm Albert Rösler, dass die Laube zwar gründlich untersucht wurde, weil aber Harry nichts abhanden gekommen war, hätten die Polizisten eine weitere Verfolgung des Verbrechens und Aufspürung des Einbrechers für aussichtslos erklärt.
Mike überlegte, ob man ihn wegen seiner Fingerabdrücke identifizieren könnte. Er verwarf dies aber, da er sich bisher noch keine Straftat zuschulden hatte kommen lassen und es so keine gespeicherten Abdrücke von ihm gab. Die Fingerabdrücke in den biometrischen Pässen und Personalausweisen sollten erst 2011 eingeführt
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