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Blutkirsche

Blutkirsche

Titel: Blutkirsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudrun Weitbrecht
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daran gehabt?“, fragte er.
    „Meine Frau und ich hatten keine Kinder, leider“, antwortete Rösler voller Wehmut.
    Mit ihrem dreijährigen Sohn reiste Anne einmal mit dem ‚Feurigen Elias‘ von Korntal nach Weissach. Ihr kleiner Junge juchzte, sie standen auf dem Perron und ließen sich den Wind und Rauch ins Gesicht blasen. Hinterher wuschen sie sich den Ruß ab. Später als sie in Österreich in den Bergen wanderten, Julian im Tragegestell auf ihrem Rücken, deutete er auf die dichten Wolken, die zwischen den Gipfeln hingen, und rief begeistert: „Damp naus!“ Auch zuckelten sie mit dem ‚Tazzelwurm‘, einer Schmalspurdampflok, die Passagierwagen durch den Killesbergpark zog.
    Rösler zeigte auf eine Lok. „Ich habe als Heizer darauf angefangen und mich dann hochgearbeitet. Das ist die letzte, Baureihe 144, die ich von Stuttgart nach Horb geführt habe, bevor alles elektrifiziert wurde. Danach habe ich nur noch Dampfloks im Güterbahnhof von Cannstatt verschoben, bis sie ihn zugemacht haben. Na ja, wenn der neue Bahnhof unterirdisch liegt, kann sowieso keine mehr davon einfahren. Aber Sie sind bestimmt nicht hier, um meine alten Geschichten anzuhören!“
    Anne zog ihren Palm aus ihrer Tasche. „Nein, erzählen Sie uns mal, was Sie an dem Samstag beobachtet haben.“
     
    „Donnerlittchen“, meinte Marco, als die das putzige Haus von Rösler verließen. „Das Alibi von Frau Fiori bricht zusammen.“
    „Ja, wie es aussieht, sind wir ganz nahe dran! Lass uns jetzt in die Grazer Straße fahren. Der Schlosser wartet bestimmt schon!“
    Anne steuerte ihr Auto aus der Parklücke.
     
    „Scheint ein ganz normaler Teenager zu sein“, meinte Marco, als sie das Zimmer von Natalie inspizierten. Die Schminkutensilien einer Siebzehnjährigen standen auf einem Tisch unter einem Spiegel. An den Wänden hingen Poster von Tokio Hotel und DSDS-Gewinnern. Auf dem Bett saß eine alte Puppe, ein Arm fehlte. Aus dem Bauch quoll Holzwolle. Anne öffnete die Schiebetür des Kleiderschranks und durchsuchte alle Jeans |168| und Oberteile, sowie sämtliche anderen Kleidungsstücke. Sie zog eine Jeans mit Knöpfen in winziger Größe hervor. „Wie es aussieht, alles sauber!“
    Auf der untersten Ablage standen Sneakers verschiedener Marken in Reih und Glied. „KangaRoos Größe 36!“ Sie fischte die Turnschuhe heraus und untersuchte sie. „Fehlanzeige, keine Blutspuren“, bemerkte sie zu Marco. „Trotzdem eintüten.“
    „Chefin, der Computer!“, Marco zeigte auf den Schreibtisch. „Vielleicht führt Natalie ein Blog, wäre doch interessant. Oder sie chattet mit jemandem! Den Rechner nehmen wir mit, mal sehen, was auf der Festplatte drauf ist.“
    „Ich glaube, hier finden wir sonst nichts!“ Anne schob verärgert den Kleiderschrank zu.
    Ihr Handy klingelte. „Was? Wie bitte?“ Annes Gesicht verzog sich überrascht.
    „Wer war’s?“, fragte Marco.
    „Die Kollegen von der Spurensicherung, wir sollen direkt kommen, sie haben etwas in Fioris Parzelle entdeckt!“
     
    Wieder einmal standen Anne und Marco in einem Schrebergarten und wieder einmal schüttete es aus allen Kübeln. Zwei Hardcore-Kleingärtner beobachten das Geschehen von weitem. Keiner von ihnen traute sich diesmal, bis zum rot-weißen Absperrband vorzudringen.
    Von Wilma Fioris gepflegter Parzelle war nicht viel übrig geblieben. Diesmal hatten Roller und Bämpfle ganze Arbeit geleistet. Vor der Laube, im Regen, lagerten sämtliche Gartenmöbel. Innendrin stapelten sich aufgehebelte Dielen. Jedes Beet und der Sandkasten waren durchwühlt, selbst die Steine einer Trockenmauer lagen abgetragen herum.
    Am eindrucksvollsten sah Anne ihre Arbeit beim Frühbeet. Den Aushub, die oberste Schicht Erde, hatten die Polizisten ohne Rücksicht zur Seite auf die gerade erblühten Pfingstrosen geworfen. Nur vereinzelt sah Anne die zerstörten Blumen darunter hervorschauen.
    „Sehen Sie selbst hinein!“, forderte Roller seine Kollegin auf und öffnete den Plexiglasdeckel des Frühbeetes, das er wieder geschlossen hatte, damit der Regen nicht die Spuren verwischte.
    „Um Himmels willen, was ist das denn?“, rief Anne entsetzt.
    „Nu, ein Mensch, vielmehr das, was von ihm übrig geblieben ist“, ergänzte Marco lapidar.
    |169| „Welcher Mensch?“, fragte Anne. Mit einer solchen unappetitlichen Überraschung hatte sie nicht gerechnet.
    Der Tote zeigte ein fortgeschrittenes Stadium der Verwesung und roch wie Käse, der zu lange in der Sonne gelegen hatte.

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